Es war einmal … ein großer Plan

Das könnte das Motto der Reise von Bundeskanzler Scholz und Wirtschaftsminister Habeck gewesen sein, als sie gemeinsam nach Kanada reisten, um die Liefersituation von Flüssiggas LNG für Deutschland zu verbessern. Der Plan ging nicht auf. Statt also schnell an LNG zu gelangen wurden lieber langfristige Verträge für grünen Wasserstoff vereinbart. N-tv berichtete:

“Neufundland gilt als günstiger Standort für die Produktion von grünem Wasserstoff, der mithilfe von erneuerbaren Energien erzeugt wird. Es gibt in der dünn besiedelten Region viel Wind und viel Fläche, um ihn in Energie umzuwandeln. Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine zwingt Deutschland, sich gerade im Energiebereich breiter aufzustellen. Kanada hat zwar auch Flüssiggas (LNG) zu bieten, Deutschland könnte davon aber erst mittelfristig profitieren, weil für den Transport über den Atlantik noch Pipelines und Terminals fehlen. Bei der Reise lag der Fokus deswegen auf der Wasserstoffproduktion.”

Womit dann auch klar ist, dass Deutschland den benötigten Wasserstoff, um Prozesse zur Dekarbonisierung zu befördern, offenbar nicht selbst herstellen kann. Diese neue Vereinbarung mit Kanada ist das indirekte Eingeständnis dafür. Nach mehr als 20 Jahren Energiewende ist Deutschland trotz großer Investitionen noch weit davon entfernt, seinen Strombedarf zu 100% aus Erneuerbaren zu decken. Wie soll dann zusätzlicher Strom für die Wasserstoffherstellung produziert werden?

Weil CO2-arm (Kernenergie) mit CO2-arm (Wind und Solar) ersetzt wurde, sind die Effekte bisher sehr überschaubar. Es wird sogar noch schlimmer, weil Gas, das nur mit 50% der Emissionen von Kohle verbrennt, knapp ist, feiert Kohle ein Comeback – mit den entsprechenden Auswirkungen. Kein Wunder, dass im Sommer die Karten bei Electricitymap für Deutschland oft die Farbe braun vorsehen. 30% des Stroms in Deutschland stammten am 25.08.2022 aus Kohle. Wind war über Deutschland nur mit 3-6 Metern pro Sekunde vorhanden, eine magere Strom-Ausbeute das Resultat. Robin Alexander formuliert es in der Welt (Bezahlartikel) noch etwas drastischer.

“Und dann prallt die deutsche Werbetour für eine grüne Zukunft auf die Realität”

Bestenfalls eine Art Ringtausch in Sachen Gas wäre das Ergebnis der Kanada-Reise.

Der Transport an die Ostküste und die Lieferung über den Atlantik nach Europa sind nicht nur ökologisch, sondern auch finanziell unsinnig. Jedenfalls bisher. „Wir untersuchen, wie wir am besten helfen können“, sagt Trudeau. „Unsere beste Kapazität würde darin bestehen, zum Weltmarkt beizutragen und Gas zu transportieren, das sich Deutschland und Europa dann aus anderen Quellen besorgen können.“

Er meint: Dann bliebe vielleicht von arabischen und afrikanischen Anbietern mehr für Deutschland übrig. Dann fügt er, wie um Scholz einen Gefallen zu tun, hinzu: „Aber wir suchen nach allen Möglichkeiten, wie wir den Europäern kurzfristig unter die Arme greifen können, um ihnen zu helfen, die Herausforderungen dieses Winters angesichts des eingeschränkten Gasangebots seitens Russlands zu bewältigen.“

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Zu Gast bei Marcus Lanz war Sachsens Ministerpräsident Kretschmer. Neben dem Thema Krieg in der Ukraine ging es auch um das Thema Energie. Die Lanz-Redaktion hatte dafür Volker Quaschning eingeladen. Der saß stilecht mit der Warmstripes-Krawatte im Studio. Man kennt ihn mittlerweile nicht mehr anders. Vielleicht sollte ihm aber jemand mal sagen, dass man die roten Streifen (Wärme) eigentlich nicht mehr sieht, wenn der mit überkreuzten Beinen im Studio sitzt. Sie zerfließen zudem mit der Farbe seines Lieblingshemds.

(Abbildung: Screenshot ZDF-Mediathek)

Natürlich wollte Lanz Kretschmer grillen, der alle Not und Mühe hatte, den Weg der Bundesregierung in den letzten Jahren in Sachen Energiepolitik zu verteidigen. Die Abhängigkeit von Gas ist/war eine Zwangsläufigkeit aus dem Kernenergie- und Kohleausstieg. Das war jedenfalls die Argumentationslinie von Kretschmer und auch, dass ohne die beiden Stromproduktionsformen nichts anderes mehr als Gas übrigbleibt, um Backups zu haben.

Fast hilflos verwies Kretschmer auf die Einspruchs- und Klagemöglichkeiten von Betroffenen gegen Windkraftanlagen. Wir leben in einem Rechtsstaat und das solle man nicht ändern, meinte er. Lanz nahm das offenbar sehr persönlich und dachte, der sächsische Ministerpräsident würde an seiner demokratischen Gesinnung zweifeln. Im Grunde waren die Gas-Backups bis vor kurzem auch die Linie der Ampel-Koalition, die von bis zu 50 neuen Gaskraftwerken für Deutschland ausging. Die Entwicklung in Sachen Gas war aber anders.

Spannend auch die ebenfalls eingeladenen Journalistin Nadine Lindner. Wind über Wald, wo es Borkenkäferschäden gibt, oder auch in Tagebaubereichen ließ sie Kretschmer nicht durchgehen. Dann aber kam Kretschmer mit zwei Windkraftanlagen in Sachsen in Mosel. Die würden aus Naturschutzgründen 100 Tage im Jahr nicht laufen. Da war Linder voll des Lobes für den Wirtschaftsminister Habeck. Beim Artenschutz müsse man dann ”einfach andere Wege einschlagen“, meinte sie. Ob hier wohl vergessen wurde, dass es um Europarecht geht? Spätestens da schreit das Aufweichen in Deutschland nach Klagen.

Interessant waren auch einige Äußerungen von Quaschning, der immer wieder Energie und Strom geschickt vermischte, je nachdem wie es gerade besser passte. Mal rechnete er den Anteil von Kernenergie klein, dann wieder den der Erneuerbaren groß. Schön auch der Einstieg von Quaschning, das Gesamteuropa gerade brennt – gefühlt. In einem Punkt konnte man sich verwundert die Augen reiben. Laut Aussagen von Quaschning würden die Vorkommen an deutschem Gas gerade einmal für 6 Monate für Deutschland ausreichen. Welche Zahlen mag er zugrunde gelegt haben? Kennt er die vermuteten Schiefergas-Vorkommen nicht? Die DW hat im Frühjahr 2022 Christoph Hilgers, vom Karlsruhe Institute of Technology (KIT) interviewt. Seine Zahlen sprechen eine ganz andere Sprache.

“Wie groß sind denn eigentlich die Gasvorkommen hierzulande? Es heißt ja, dass der deutsche Gas-Bedarf auf Jahre gedeckt werden könnte?

Wir brauchen im Jahr in Deutschland ungefähr 86 Milliarden Kubikmeter. Die vermuteten Gas-Ressourcen werden auf ungefähr 1,36 Billionen Kubikmeter geschätzt, also ein Vielfaches mehr. Damit könnte über die kommenden Jahrzehnte ein erheblicher Beitrag zur Energie- und Rohstoffversorgung Deutschlands mit heimischem Erdgas geliefert werden. Aber wegen des Fracking-Verbots ist nicht genau geklärt, wie groß die Gasvorräte an Schiefergas tatsächlich sind und wieviel gewinnbar ist.

Es gibt also noch einen gewaltigen Erkundungs-Bedarf. Wie lange würde es dauern, bis die Gasförderung beginnen könnte?

Der Erkundungs-Bedarf ist überschaubar, weil man ja Vorausberechnungen macht, wo welche Gesteine sind und welchen Temperaturen die im Untergrund ausgesetzt sind. Es gibt bereits Modellierungen und Voraussagen, wo ein erhöhtes Potenzial von Schiefergas ist und wo nicht. Generell haben wir in Deutschland zwei Arten von Ressourcen: Einerseits die sogenannten dichten Gas-Lagerstätten. Dort ist das Gas in einem Sandstein im Untergrund gefangen und kann mit den Fracking-Methoden, die man 50 Jahre bis zum Fracking Moratorium 2011 in Deutschland angewandt hat, gewonnen werden. Und zudem gibt es das Schiefergas, das seit einigen Jahrzehnten in den USA und anderen Ländern erschlossen wird.”

Zahlen sind ja immer so eine Sache. Quaschning wirft einige in den Raum und keiner fragt nach. Er rechnet Kernenergie eben mal klein (macht doch 1% vom Ganzen aus) um Kretschmer, der sich für eine Laufzeitverlängerung ausspricht, den Wind aus den Segeln zu nehmen. Nach den Zahlen der AG Energiebilanzen lag Kernenergie im Jahr 2021 bei einem Anteil der Primärenergie von 6,1%. Selbst, wenn man im Geiste die drei Kernkraftwerke abzieht, die zum Ende 2021 vom Netz gegangen sind, wirft die Quaschning Zahl von 1% einige Fragen auf, denn auch die Quartalszahlen der AGEB sehen für das 1. und 2. Quartal einen Anteil von 3,1% für Kernenergie vor. Es wäre also Faktor 3 mehr als der Experte bei Lanz behauptet. Weder Kretschmer noch Lanz fiel das offenbar auf.

(Abbildung: Screenshot Primärenergie Deutschland 2021 AG Energiebilanzen)

(Abbildung: Screenshot Primärenergie Deutschland Q1 und Q2 2022 AG Energiebilanzen)

Immerhin erkennt Quaschning in der Sendung an, dass Deutschland Grundlast braucht. Die Lösung ist seiner Meinung auch ganz einfach. Immer, wenn wir mehr Strom durch Wind und Sonne haben, dann speichern wir diesen Strom. Das vor dem Hintergrund, dass der Strombedarf in Zukunft steigen wird. Quaschning rechnet offenbar tatsächlich damit, dass Deutschland autark wird in Sachen Strom und das nur mit Wind und Sonne sowie Speichern. Und offensichtlich meint er die gesamte Energie, also auch das, was wir heute noch an Mineralöl oder auch Gas zur Wärmeproduktion verbrauchen.

Ein gewitzter Moderator hätte hier vielleicht einmal die Frage gestellt, ob es solche Speicher technisch schon gibt und ob sie sich wirtschaftlich herstellen und betreiben lassen. Die Antworten hätten spannend sein können. Hätten. Im weiteren Verlauf bringt Quaschning dann noch Wasserstoff als Lösung. Der könnte in Gaskraftwerken zur Stromgewinnung eingesetzt werden. Soll das dann der Speicher sein, von dem er sprach? Und warum fahren Scholz und Habeck nach Kanada, um grünen Wasserstoff einzukaufen, wenn wir den doch Dank Wind und Sonne selbst herstellen könnten? Laut Quaschnings Aussage in der Sendung geht die Energiewende der Zukunft nur mit Wind und Solar.

Oder kann es sein, dass die Produktion von grünem Wasserstoff in Deutschland schlicht zu teuer ist? Man weiß es nicht und in der Kürze der Sendung lässt sich so etwas vermutlich auch nicht klären und schon gar nicht, wenn munter Dinge durcheinandergeworfen werden oder gar falsch sind. Irgendwie ist man ja schon fast dankbar, dass da nicht Claudia Kemfert saß, die ja der Meinung ist, dass wir Speicher noch und nöcher haben. Jede Kritik an der Energiewende, so wie Deutschland sie fährt, wird mal eben als Mythos abgetan. So kann man es natürlich auch machen. Es bringt der Sache nur wenig. Die Sendung ist noch bis zum 23.08.2023 in der ZDF-Mediathek abzurufen.

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Was man in den Medien über Hurricanes nicht lesen kann. Roger Pielke Jr. hat auf seinem Blog einen Artikel dazu. Nach seiner Darstellung zeichnet sich in den Zahlen von 1900 – 2021 ein Rückgang der Stürme ab.

“Below are official data on continental U.S. hurricane landfalls, updated through 2021 from our recent paper. If you think that there have been a lot of major hurricanes in recent years, you’d be correct. One reason for the near-term increase in activity is an incredible unprecedented 11-year period from 2006-2017 during which no major hurricane made CONUS landfall. Recent years are more typical of patterns seen during the 20th century. So for those who come to the climate beat during the past twenty years, it would be easy to think that we didn’t used to have hurricanes and now we do. This is a good example that illustrates why trying to see climate changes with your own eyes is never a good substitute for data and applied climatology.”

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