Das arktische Meereis … mehr oder weniger Ausdehnung?

von Dr. Hans-J. Dammschneider, IFHGK

Bei KS wird am 29.9.2021 notiert: „Auf der Internetseite des ´Meereisportals´, verantwortet vom Alfred-Wegner-Institut für Polar- und Meeresforschung und der Universität Bremen, schlängelt sich die dicke rote Linie, die die von Satelliten gemessene Eisausdehnung des laufenden Jahres anzeigt, mit deutlichem Abstand über allen dort aufgeführten bunten Linien der letzten Jahre. Demnach zählt 2021 zu den drei Jahren dieser Dekade mit der größten Ausdehnung des Meereises.

Abb. 1 : Meereis-Ausdehnung Arktis, Jahre 2007 bis 2021, nach MEEREISPORTAL.DE

Auch Georg Etscheit schreibt am 21.9.2021 in ACHGUT : „In diesem Jahr wurde mitnichten ein neuer Schrumpfrekord des Meereises der Arktis registriert – im Gegenteil“ und er bezieht sich ebenfalls auf das AWI. Aber stimmt das … so? Denn wir wissen, dass oftmals bereits ein einfacher Wechsel in der Betrachtungsmethodik „Veränderungen“ ergeben bzw. suggerieren können. Wie ist daher das Jahr 2021 zu bewerten? Tatsächlich mehr oder doch (noch) weniger Eis in der Arktis? Die Frage entsteht, weil es offenbar — nicht überall gleich ist. Welch triviale Erkenntnis! Aber auch in der Klimawissenschaft gibt es nun mal unterschiedliche Verteilungen im Raum. Und die können zu Fehlbewertungen führen, je nachdem, aus welcher ´Richtung´ man schaut.

Während in Abbildung 1 die insgesamt zu erkennende arktische Meereisausdehnung mit einer ZUNAHME darstellt wird (Gesamtfläche), ergibt sich nämlich bei einer REGIONALISIERTEN Betrachtung in 2021 durchaus in weiten Bereichen ein signifikanter RÜCKGANG des arktischen Meereises, primär im Gebiet des nördlichen Nordatlantiks (siehe Abb. 2-3). D.h., KS und ETSCHEIT schauen sozusagen auf Abb. 1, der Verfasser hat darüber hinaus aber auch die Abb. 2-3 vor Augen.

Das IFHGK zeichnet seit einigen Jahren die Ausdehnung des arktischen Meereises besonders in der Region zwischen Grönland und Westsibirien auf. Allerdings methodisch anders als das AWI: Im IFHGK versuchen wir eine ´regionale´ Betrachtung einzubeziehen und werten in diesem Sinne die Eisrandlagen in standardisierten Profilen aus. Und hier nun zeigt sich ein differenziertes Bild, das einiges anders ausschauen lässt, als es in der  pauschalen Zusammenfassung des AWI erscheint. Im Bereich zwischen Grönland und dem westlichen Sibirien war beispielsweise auf dem 0-Meridian in keinem Jahr (seit 2015, in dem wir die zeitlich hochauflösenden Auswertungen vornehmen) eine so weit nach Norden zurückgehende Eisrandlage zu beobachten wie just in diesem Jahr 2021.

Abb. 2 : Eisrandlagen im Bereich des 0-Meridians (Abstand vom Nordpol in km in wöchentlicher Darstellung zwischen 2015 und heute)

Auch in der Zusammenfassung (Mittelung) der Eisrandlagen zwischen 100 West und 100 Ost zeigt sich das nahezu gleiche Bild:

Abb. 3 : Eisrandlagen im Bereich 100 West – 100 Ost (Abstand vom Nordpol in km in wöchentlicher Darstellung zwischen 2015 und heute)

Ebenso zwischen Grönland und Spitzbergen (10-200 West) sowie östlich Spitzbergens (30-400 Ost) ist dies in ähnlicher Weise der Fall. Ob hier wirklich das „Wetter“ die grösste Rolle spielt oder vielleicht eher im Hintergrund ablaufende Zyklizitäten/rhythmische Prozesse (wie wir sie in der NAO und der AMO haben) eine Rolle spielen, sollte man sich genauer anschauen … zu auffällig sind gewisse, zeitliche begrenzte „Trends“ mit zuletzt einem Eisrandlagen-Vorstoss zwischen Mitte 2018 und Sommer 2020 sowie einem tendenziell darauf anschliessendem Rückgang der Eisrandlagen von Juli 2020 bis momentan.

Abb. 4 : Eisrandlagen im Bereich 200 West – 400 Ost (Abstand vom Nordpol in km in wöchentlicher Darstellung zwischen 2015 und heute)

Man muss nun bei der Unterschiedlichkeit der hier auftretenden Bewertung jedoch eines unbedingt berücksichtigen: Das AWI meint eine Meereisbedeckung von >15% … die vom IFHGK ausgewerteten Eisrandlagen des Kanadischen Eisdienstes zeigen die Grenze der 50% Eisbedeckung! Allein aus diesen, für aussenstehende Betrachter kaum je erkennbaren unterschiedlichen ´Grenzwerten´ entstehen damit grössere Auslegungsfreiheiten. Was auch immer man nun verwendet, beides ist „richtig“, aber beides ist eben auch „verschieden“ … man kann beide Masse je über die Zeit verwenden, aber man sollte sie nicht oberflächlich miteinander vergleichen. Denn beide sind zwar ´Äpfel´, aber das eine ist sinngemäss ein saurerer ´Boskop´, der andere der süssere ´Gloster´ … so sprachlich-inhaltlich fein aufgelöst muss man wohl auch bei der Art der Eisbedeckungsfeststellung differenzieren.

ETSCHEIT stellt übrigens und richtigerweise fest, dass das vom World Wide Fund for Nature (WWF) prophezeite raschere Abschmelzen des arktischen Meereises nicht zutrifft. Die vom IFHGK in wöchentlichem Abstand seit über 6 Jahren protokollierten Veränderungen der Vorstösse bzw. Rückzüge der Eiskanten in den oben bereits angegebenen Profillagen zeigen keine markanten Zu- oder Abnahmen der Geschwindigkeit. Wenn man denn unbedingt möchte, so wäre allenfalls ein ganz, ganz leichter RÜCKGANG im Tempo der Eisrandlagenveränderungen zu notieren (siehe rot gestrichelte Trendlinie in den Abbildungen 5 und 6).

Abb. 5 : Eisrandlagenveränderungen auf 10-200 West in km/Tag zwischen 2015 und heute (wöchentliche Auswertung)

Abb. 6 : Eisrandlagenveränderungen auf 30-400 Ost in km/Tag zwischen 2015 und heute (wöchentliche Auswertung)

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