Um Antwort wird gebeten: Weshalb erhöhte kühlere Witterung 2015 den Energieverbrauch in Deutschland, wenn der DWD das Jahr als ungewöhnlich warm beschrieb?

An: Deutscher Wetterdienst
Von: Dr. Sebastian Lüning

Gesendet: 23.3.2016

 

Sehr geehrter DWD,

Am 18.3.2016 meldete dpa (z.B. via FAZ):

„Kühlere Witterung erhöht Energieverbrauch 2015“
Die kühlere Witterung hat 2015 den Energieverbrauch in Deutschland leicht ansteigen lassen. Nach Berechnungen der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen kletterte der Konsum um gut ein Prozent auf 13 300 Petajoule (3700 Millionen Megawattstunden), teilte der von Energieverbänden und Forschungsinstituten getragene Verein am Freitag in Köln mit. Vor allem der höhere Heizenergiebedarf habe für einen Anstieg des Verbrauchs gesorgt.

http://www.faz.net/agenturmeldungen/unternehmensnachrichten/kuehlere-witterung-erhoeht-energieverbrauch-2015-14132944.html

 

Dies scheint auf den ersten Blick verwunderlich, da der DWD das Jahr 2015 in seiner Jahreszusammenfassung als ungewöhnlich warm beschrieb:

2015 zweitwärmstes Jahr in Deutschland – gemeinsam mit 2000 und 2007
Das Jahr 2015 erreicht in Deutschland eine Durchschnittstemperatur von etwa 9,9 Grad Celsius. Es dürfte damit – nach ersten Auswertungen der Ergebnisse der rund 2000 Messstationen des Deutschen Wetterdienstes (DWD) – gemeinsam mit den Jahren 2000 und 2007 hierzulande das zweitwärmste Jahr seit Beginn flächendeckender Messungen im Jahr 1881 sein. Den Temperaturrekord hält mit Abstand 2014 mit 10,3 °C. Die vergangenen 12 Monate fielen außerdem zu trocken und sonnenscheinreich aus, meldet der nationale Wetterdienst. 2015 waren hierzulande zehn von 12 Monaten zu warm. Nur der September und Oktober blieben unter ihrem vieljährigen Durchschnitt. Der August war der zweitwärmste, die Monate November und Dezember waren sogar die wärmsten seit 1881.

https://www.dwd.de/DE/presse/pressemitteilungen/DE/2015/20151230_deutschlandwetter_jahr2015_news.html

 

Es wäre schön, wenn Sie zu dieser Diskrepanz Stellung nehmen könnten. Ihre Antwort möchte ich gerne auf www.kaltesonne.de bekanntgeben.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. habil. Sebastian Lüning

Chefredakteur www.kaltesonne.de

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An: Dr. Sebastian Lüning
Von: Guido Halbig

Gesendet: 1.4.2016

 

Sehr geehrter Herr Lüning,

vielen Dank für Ihre Anfrage. Der Heizenergieverbrauch wird durch die Temperaturen in den Monaten beeinflusst, in denen geheizt wird. Im Jahr 2015 waren die Monate Februar bis April deutlich kälter als z.B. im Jahr 2014. Dies gilt auch für den Oktober. Die Monate November und Dezember 2015 dagegen werden wärmer als die Monate im Jahre 2014.

Als Kenngröße zur Erfassung des Heizenergieverbrauchs werden nach VDI 3807, Blatt 1 die Jahresgradtage verwendet. Dabei gilt: je höher die Jahresgradtage sind, umso kälter ist ein Jahr (bezogen auf die Tage eines Jahres, deren Mittelwert unter 15 Grad liegt) und desto höher ist der Heizenergieverbrauch.

Exemplarisch hier die Werte für die DWD-Station Essen:

2014: Jahresgradtage = 2824
2015: Jahresgradtage = 3234

Die impliziert für 2015 (hier für den Standort Essen) einen höheren Heizenergieverbrauch als im Jahr 2014.

Diese Betrachtung gilt aber nur für den Heizenergieverbrauch.

Dies auf die Schnelle. Wenn Sie weitere Informationen benötigen, können Sie sich gerne an mich wenden.

Mit freundlichen Grüßen

Guido Halbig

Deutscher Wetterdienst
Leiter der Niederlassung Essen
Leiter des Regionalen Klimabüros Essen

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Da sich die Antwort des DWD zunächst verzögerte, hatten wir parallel auch bei der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen nachgehakt. Die Antwort kam prompt:

An: Dr. Sebastian Lüning
Von: Dr. Jochen Diekmann

Gesendet: 1.4.2016

Sehr geehrter Herr Dr. Lüning,

besten Dank für Ihre Anfrage. Es besteht allerdings keine „Diskrepanz“ zwischen den Aussagen der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen (AGEB) und denen des Deutschen Wetterdienstes (DWD). Nach Angaben der AGEB war das Jahr 2015 „kühler“ als das sehr milde Vorjahr 2014 (gemessen an den für den Heizbedarf relevanten Gradtagzahlen des DWD bei einer Raumtemperatur von 20 Grad C und einer Heizgrenztemperatur von 15 Grad C). Nach Angaben des DWD war das Jahr 2014 „wärmer“ als 2015 (gemessen an durchschnittlichen Außentemperaturen): „Den Temperaturrekord hält mit Abstand 2014 mit 10,3 Grad C“ (Ihr Zitat aus der PM des DWD).

Weitere Erläuterungen zur Entwicklung der Gradtagzahlen 2014/2015 und zum Einfluss der Witterung auf den Energieverbrauch finden Sie im ausführlichen Jahresbericht der AGEB unter http://www.ag-energiebilanzen.de/#ageb_jahresbericht2015_20160317_final, Daten zu Temperaturen und Gradtagzahlen des DWD unter http://www.dwd.de/DE/leistungen/gtz_kostenfrei/gtz_kostenfrei.html.

Für weitere Fragen stehen wir Ihnen gern zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Jochen Diekmann

Dr. Jochen Diekmann
DIW Berlin
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung
Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt
10117 Berlin

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An: Dr. Jochen Diekmann
Von: Dr. Sebastian Lüning

Gesendet: 1.4.2016

 

Sehr geehrter Herr Dr. Diekmann,

Ganz herzlichen Dank für Ihre schnelle und hilfreiche Antwort. Korrekt, das Jahr 2014 war wärmer als 2015. Trotzdem finde ich es schwierig, das “zweitwärmste Jahr in Deutschland” mit “kühlerer Witterung” zu assoziieren. Aber ich verstehe nun zumindest, wie es gemeint war.

Mit den besten Grüßen,

Sebastian Lüning

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Josef Kowatsch hat den Jahresvergleich für die einzelnen Monate für uns zusammengestellt.
–Drei der sieben Heizmonate waren 2015 wärmer als 2014 (Januar, November, Dezember)
–Vier der sieben Heizmonate waren 2015 kälter als 2014 (Februar, März, April, Oktober).

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