Studie: Eisbären können ihre Fressgewohnheiten den Umweltbedingungen anpassen

Die Aktivistenwebseite Klimaretter.info trieb ihren Lesern am 7. August 2013 mit einer herzzerreißenden Story die Tränen in die Augen:

Klimawandel treibt Eisbär in den Tod
Er muss wochenlang gewandert sein, vom Hunger getrieben, bis er vor Erschöpfung einfach umfiel und verendete: Wie der britische Guardian berichtet, wanderte ein Eisbär 250 Kilometer nach Süden, weil er durch die fortschreitende Eisschmelze keine Nahrung mehr fand. Forscher des Norwegischen Polarinstituts fanden die Überreste des völlig ausgehungerten Eisbären auf der Inselgruppe Spitzbergen. Der Wissenschaftler Ian Stirling hatte den Eisbären noch vor rund einem Jahr untersucht. Da sei er noch putzmunter gewesen, sagte er dem Guardian. Jetzt seien von dem Tier nur noch Haut und Knochen übrig gewesen. Stirling geht davon aus, dass der Eisbär durch die Eisschmelze in der Arktis gezwungen war, abseits seiner üblichen Jagdgründe nach Nahrung zu suchen. 2012 ging als das Jahr der Rekord-Eisschmelze in die Geschichte ein. „Aufgrund seiner Liegeposition nehmen wir an, dass der Bär genau an der Stelle verhungert ist, an der er entkräftet zu Boden fiel“, sagte Stirling. Weil Eisbären sich fast ausschließlich von Robben ernähren, sind sie auf das Eis angewiesen, um an ihre Beute heranzukommen und sie zu erlegen, so der Forscher.

Eine Kleinigkeit „vergaß“ der Klimaretter dann doch noch mitzuteilen. Im angesprochenen Guardian-Artikel heißt es, der Bär wäre 16 Jahre alt geworden, was der durchschnittlichen Lebenserwartung von Eisbären recht nahe kommt. Hierauf wies die Zoologin Susan Crockford auf ihrer Webseite polarbearscience.com hin. Vielleicht war der Bär einfach nur krank oder verletzt, konnte daher nicht mehr richtig auf die Jagd gehen und sich ernähren, ganz unabhängig vom Zustand des Meereises? Nach Veröffentlichung des Guardian-Artikels schlug dem Eisbärenforscher von Fachkollegen und der Öffentlichkeit eine Welle der Kritik entgegen. Ganz offensichtlich hatte er in unwissenschaftlicher Weise einfach eine vage Vermutung in den Raum gestellt, die er nicht belegen konnte, jedoch der Öffentlichkeit als wissenschaftliche Wahrheit zu verkaufen suchte.

Eisbärentränen rannen auch am 27. November 2014 auf Spiegel Online, wo sich Haluka Maier-Borst ganz schlimme Sorgen über die Zukunft der Eisbären machte:

Hochrechnung: Eisbären verlieren wichtige Heimatregion
Sterben die Eisbären aus wegen des Klimawandels? Simulationen zufolge verlieren die Tiere an Lebensraum: Aufgrund der Meereis-Schmelze in der Arktis droht eines ihrer wichtigsten Jagdreviere zu verschwinden. […] Stephen Hamilton von der University of Alberta und seine Kollegen sagen voraus, dass durch eisfreie Monate im Meer der Arktis die rund 25.000 Eisbären auf der Welt einen ihrer Lebensräume verlieren werden – den kanadisch-arktischen Archipel. Dass Eisbären durch eisfreie Perioden bedroht sein könnten, ahnten Wissenschaftler schon länger. Brechen die eisigen Verbindungen weg, wird es für die Einzelgänger schwieriger, einen Partner zur Fortpflanzung zu finden. Das größte Problem für die Tiere ist jedoch, dass sie ohne Meereis weniger Chancen haben, Seerobben zu jagen, von denen sie sich ernähren.

Liebe Frau Haluka Maier-Borst, lassen Sie sich da mal keinen Bären aufbinden. Der Eisbär ist als Art viele hunderttausende Jahre alt und hat etliche Warmphasen wie die heutige mit noch viel stärker reduziertem arktischem Meereis überlebt. Sie brauchen sich über sein Liebesleben und seine Fortpflanzung also keine Sorgen zu machen. In einem früheren Beitrag aus dem Februar 2013 berichteten wir hierzu:

In einer neuen Studie konnte jetzt zum Beispiel ein Forscherteam aus den USA und Kanada zeigen, dass Eisbären viel bessere Langstreckenschwimmer sind als früher angenommen. Mit schmelzendem Eis kommen sie daher offenbar viel besser zurecht als gedacht. Das verwundert auch nicht so richtig, hatte doch im April 2012 eine Studie einer Gruppe um Frank Hailer vom Senckenberg Institut Frankfurt herausgefunden, dass es Eisbären viel länger gibt als zuvor angenommen, nämlich seit 600.000 Jahren. Wir hatten darüber in unserem letzten Eisbären-Blogartikel berichtet. Nun hat sich die Eisbärenära sogar noch weiter nach hinten ausgedehnt. Im Juli 2012 erschien in den Proceedings of the National Academy of Sciences eine neue Arbeit eines internationalen Forscherteams um Webb Miller, das zeigen konnte, dass die Ahnenreihe der Eisbären sogar 4 bis 5 Millionen Jahre zurück reicht (siehe Berichte im Examiner, World Climate Report, New Scientist, The Resilient Earth, NIPCC und Science Daily). Eisbären gab es also sogar vor dem Beginn der pleistozänen Vereisungsphase, die erst vor knapp 2 Millionen Jahren begann.

Desweiteren ist seit längerem bekannt, dass sich Eisbären vielseitiger ernähren als zuvor gedacht. Die Menschheit stirbt ja auch nicht aus, wenn es aufgrund von Vogelgrippe kein Hühnchen mehr gibt. Dann weichen wir eben auf Schweinegulasch oder Tofu aus. In den Ecological Monographs erschien 2008 die Studie eines Forscherteams um Gregory Thiemann, die den Speiseplan der kanadischen Eisbären genauestens unter die Lupe genommen hatten. Dabei fanden sie neben der Robben-Lieblingsspeise eine Vielzahl anderer Gerichte, die sich die weißen Gesellen hineinstopften. Hier ein Auszug aus der Kurzfassung:

We used quantitative fatty acid signature analysis (QFASA) to examine the diets of 1738 individual polar bears (Ursus maritimus) sampled across the Canadian Arctic over a 30-year span. Polar bear foraging varied over large and small spatial and temporal scales, and between demographic groups. Diets in every subpopulation were dominated by ringed seals (Phoca hispida) and, in the eastern Arctic, secondarily by harp seals (Pagophilus groenlandica). Beluga whales (Delphinapterus leucas) were an important food source for bears in the High Arctic, which is consistent with previous anecdotal reports. Foraging patterns were most similar among neighboring subpopulations with similar prey assemblages, but also differed geographically within Western Hudson Bay. The sexual size dimorphism of polar bears had an important effect on foraging, as large bearded seals (Erignathus barbatus) and walruses (Odobenus rosmarus) were consumed most often by older, male bears, whereas ringed seals and, where available, harbor seals (P. vitulina) were most important to younger age classes. Larger, older bears also had the greatest dietary diversity, apparently because of their ability to include larger-bodied prey. During spring and summer, polar bears in some areas increased predation on migratory harp seals and beluga whales. In Western Hudson Bay, bearded seal consumption declined between 1995 and 2001 for both male and female bears and continued to decline among females up to the most recent sampling (2004). Ringed seal consumption in Western Hudson Bay increased between 1998 and 2001, perhaps in response to increased ringed seal productivity, but was not significantly affected by date of sea-ice breakup. Overall, our data indicate that polar bears are capable of opportunistically altering their foraging to take advantage of locally abundant prey, or to some degree compensating for a decline in a dominant prey species. However, in other areas polar bears are dependent on the availability of ringed and bearded seals. Recent population data suggest that polar bears with the most specialized diets may be most vulnerable to climate-related changes in ice conditions. The results of this large-scale, ecosystem-based study indicate a complex relationship between sea-ice conditions, prey population dynamics, and polar bear foraging.

Die wissenschaftliche Studie zeigt, dass es also durchaus Eisbärenpopulationen gibt, die sich den veränderten ökologischen Situationen anpassen können. Da wundert es schon, dass Haluka Maier-Borst dies in ihrem Spiegel Online-Artikel ausschließt:

Doch kann der Eisbär in den nächsten Jahrzehnten nicht lernen, sich dem Klimawandel anzupassen? Seinen Speiseplan von Robben auf andere Tiere umzustellen, das gehe jedenfalls nicht, erklärt Todd Atwood, Biologe am Alaska Ice Center. „Eisbären haben über Zehntausende von Jahren ihren Stoffwechsel und ihre Ernährung auf fettreiche Meeressäuger wie Robben abgestimmt. Die aktuelle Erwärmung in der Arktis passiert zu schnell, als dass sie das ändern könnten.“

Bereits am 18. Januar 2013 hatte Spiegel Online in einem anderen Artikel kräftig die Klimaangst unter den Eisbärenfreunden geschürt:

Arktische Tierwelt im Klimawandel: Hungern auf der Eisplatte
Extremes Wetter kann das Geflecht von Jäger und Beute stören, berichten norwegische. Forscher im Wissenschaftsblatt „Science“. Der Klimawandel könnte demnach die Tierwelt in der Arktis noch stärker beeinflussen als bisher vermutet. Denn mit steigenden Temperaturen tritt ein gefürchtetes Wetterphänomen häufiger auf: kräftiger Regen, der dann am Boden gefriert und so einen Eispanzer auf dem Schnee formt. Pflanzenfresser kommen dann nur noch schwer an Nahrung. Wie dieses Wetter Rentieren und Feldmäusen zusetzt, wurde bereits untersucht.

Am 20. November 2014 legten die norwegischen Forscher um Brage Hansen in den Environmental Research Letters noch einmal nach. Sie dokumentierten auf Spitzbergen eine warme Winterwetterphase mit Eisregen und Schlammlawinen, die nicht nur den menschlichen sondern auch den tierischen Bewohnern der Insel zu schaffen machte. Kurzerhand erklärten Brage & Co. Das Extremwetterereignis zum neuen Standard im Zuge der Klimakatastrophe. Hier ein Auszug aus der Kurzfassung der Arbeit:

Here we characterize and document the effects of an extreme warm spell and ROS event that occurred in High Arctic Svalbard in January–February 2012, during the polar night. In this normally cold semi-desert environment, we recorded above-zero temperatures (up to 7 °C) across the entire archipelago and record-breaking precipitation, with up to 98 mm rainfall in one day (return period of >500 years prior to this event) and 272 mm over the two-week long warm spell. These precipitation amounts are equivalent to 25 and 70% respectively of the mean annual total precipitation. The extreme event caused significant increase in permafrost temperatures down to at least 5 m depth, induced slush avalanches with resultant damage to infrastructure, and left a significant ground-ice cover (~5–20 cm thick basal ice). The ground-ice not only affected inhabitants by closing roads and airports as well as reducing mobility and thereby tourism income, but it also led to high starvation-induced mortality in all monitored populations of the wild reindeer by blocking access to the winter food source. Based on empirical-statistical downscaling of global climate models run under the moderate RCP4.5 emission scenario, we predict strong future warming with average mid-winter temperatures even approaching 0 °C, suggesting increased frequency of ROS. This will have far-reaching implications for Arctic ecosystems and societies through the changes in snow-pack and permafrost properties.

In der Pressemitteilung zum Paper heißt es:

Snowy streets and the tundra were transformed into icy, rain-covered skating rinks that were difficult to navigate with snowmobiles. Flights were cancelled, the airport closed, and travel around town was tricky. The situation was particularly problematic out on the tundra. Rain falling on snow can percolate to the base of a snowpack where it can pool at the soil surface and subsequently freeze. That makes it impossible for grazing reindeer to get at their food, for example, and extreme warm spells can even affect temperatures in the permanently frozen ground found throughout the archipelago.

Die armen Rentiere. Dummerweise hatte National Geographic einige Monate zuvor, im August 2014, einen Zustandsbericht zu den Rentieren auf Spitzbergen gebracht, in dem Erstaunliches berichtet wird. Den Rentieren auf der Insel geht es so gut wie lange nicht und die Tierpopulation ist in den letzten 50 Jahren kräftig angewachsen:

Svalbard Reindeer: Thriving Again on the Tundra
Perhaps the most endearing animal observed on our summer 2014 sojourn in the Arctic was the Svalbard reindeer, a subspecies of reindeer endemic to the archipelago midway between continental Norway and the North Pole. Depleted by hunting over more than six decades, the Svalbard reindeer has been recovering strongly under Norway’s conservation measures, and there may now be as many as 10,000 of them on the islands, which together have a land area roughly the size of West Virginia.

Weiterlesen auf National Geographic.

Und wie sieht es eigentlich mit der Hitzekatastrophe auf Spitzbergen aus? Wird es wirklich mit jedem Tag heißer und heißer, wie uns suggeriert wird? Ein Blick auf die GISS-Temperaturdaten auf der New Scientist-Webseite bringt eine faustdicke Überraschung (siehe Abbildung): Zwar ist es in den letzten Jahrzehnten wirklich spürbar wärmer geworden, jedoch lediglich um den gleichen Betrag, um den sich Spitzbergen zwischen 1935 und 1965 abgekühlt hatte. Die unbequeme Wahrheit: In den 1930er Jahren lagen die Temperaturen bereits einmal auf dem heutigen Niveau. Surprise, sursprise.

 

 

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