Mensch nur zu einem Viertel an globaler Gletscherschmelze der letzten 150 Jahre verantwortlich. Stärkste Schmelzrate in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

Wir befinden uns gerade in der sogenannten Modernen Wämeperiode. Die Temperaturen liegen auf einem ähnlich hohen Niveau wie vor 1000 Jahren zur Zeit der Mittelalterlichen Wärmeperiode. Wie auch damals, reagieren die heutigen Gletscher auf die Wärme und schrumpfen. Schmelzende Gletscher sind daher an sich nichts Neues. Am 19. August 2014 berichtete die Zeitung Die Presse nun über eine neue Studie, die den menschengemachten Anteil an der globalen Gletscherschmelze seit Ende der Kleinen Eiszeit um 1850 quantifizierte. Das überraschende Resultat: Nur ein Viertel der Schmelze geht offenbar auf das Konto des Menschen. Im Umkehrschluss wurden drei Viertel der Gletscherschmelze durch die natürliche Klimavariabilität verursacht: Explizit werden Änderungen der Sonnenaktivität als Ursache genannt. Die Presse schreibt:

Schmelzende Gletscher stehen symbolisch für den Klimawandel: Der Meeresspiegel steigt, die saisonale Verfügbarkeit von Trinkwasser ändert sich, und sie können Auslöser von Naturkatastrophen sein. Als natürliche Ursache dafür gilt etwa veränderte Sonneneinstrahlung.
Dem Klimaforscher Ben Marzeion vom Institut für Meteorologie und Geophysik der Uni Innsbruck gelang es nun gemeinsam mit kanadischen Kollegen zu zeigen, wie weit der Mensch für das Abschmelzen der Gletscher mitverantwortlich ist: Von 1851 bis 2010 soll der vom Menschen verursachte Klimawandel zu rund einem Viertel zur Gletscherschmelze beigetragen haben.

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Da stellt sich natürlich gleich die Frage, ob sich die globale Gletscherschmelze in den letzten Jahrzehnten möglicherweise beschleunigt hat. Ein Forscherteam um Ben Marzeion von der Universität Innsbruck hat diese Frage nun klar beantwortet. In einer im Januar 2014 im Fachmagazin The Cryosphere erschienenen Arbeit schrieben die Wissenschaftler, dass der Eisverlust der globalen Gletscher in der zweiten Hälfte denjenigen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht übertraf:

Even though the rise of global mean air temperature accelerated in the 20th century, the mass loss rate of glaciers during the second half of the 20th century was not higher than during the first half of the century.

Weiterhin machen die Autoren deutlich, dass sie auch im 21. Jahrhundert keinen gesteigerten Eisverlust der Gletscher annehmen, da etliche kleinere Gletscher sowieso dann verschwunden sein werden und andere Gletscher durch gesteigerte Niederschläge ausreichend Eisnachschub erhalten. In der Kurzfassung der Studie heißt es dazu:

We find that 21st century glacier-mass loss is largely governed by the glacier’s response to 20th century climate change. This limits the influence of 21st century climate change on glacier-mass loss, and explains why there are relatively small differences in glacier-mass loss under greatly different scenarios of climate change. […] The projected increase in precipitation partly compensates for the mass loss caused by warming, but this compensation is negligible at higher temperature anomalies since an increasing fraction of precipitation at the glacier sites is liquid. Loss of low-lying glacier area, and more importantly, eventual complete disappearance of glaciers, strongly limit the projected sea level contribution from glaciers in coming centuries.

In einer weiteren Studie, die im April 2014 in The Cryosphere erschien, fand eine Forschergruppe um Paul Leclercq von der Universität Utrecht, dass die globale Gletscherschmelzrate in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sogar größer war als in der anthropogen beeinflussten zweiten Hälfte. In der Kurzfassung zur Arbeit steht:

Glacier fluctuations contribute to variations in sea level and historical glacier length fluctuations are natural indicators of past climate change. To study these subjects, long-term information of glacier change is needed. In this paper we present a data set of global long-term glacier length fluctuations. The data set is a compilation of available information on changes in glacier length worldwide, including both measured and reconstructed glacier length fluctuations. All 471 length series start before 1950 and cover at least four decades. The longest record starts in 1535, but the majority of time series start after 1850. The number of available records decreases again after 1962. The data set has global coverage including records from all continents. However, the Canadian Arctic is not represented in the data set. The available glacier length series show relatively small fluctuations until the mid-19th century, followed by a global retreat. The retreat was strongest in the first half of the 20th century, although large variability in the length change of the different glaciers is observed. During the 20th century, calving glaciers retreated more than land-terminating glaciers, but their relative length change was approximately equal. Besides calving, the glacier slope is the most important glacier property determining length change: steep glaciers have retreated less than glaciers with a gentle slope.

Im langfristigen Kontext stellt die heutige Gletscherschmelze nichts Außergewöhnliches dar, wie die vorgestellten Studien zeigen. Eine genaue Kenntnis der historischen Wachstums- und Schrumpfphasen der weltweiten Gletscher ist wichtige Grundlage für Modelle und Zukunftsprojektionen. Die schweizerische Bauernzeitung wies am 6. Mai 2014 auf eine neue Gletscherdatenbank hin, die den Gletscherforschern in zukünftigen Projekten sicher gute Dienste erweisen wird:

Ein neues Register aller Gletscher weltweit soll die Auswirkungen des Klimawandels auf die Eismassen abschätzen helfen. Im Randolph Gletscher Inventar (RGI) seien mittlerweile so gut wie alle Gletscher der Erde kartiert und in computerlesbare Form übertragen, teilte die Universität Innsbruck am Dienstag mit.

Die Online-Datenbank kann unter glims.org abgerufen werden.

 

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