Jetzt brauchen die Grünen sogar schon einen Sprechtext

Das ging ja flott. Kaum war die Stuttgarter Erklärung, in der sich Wissenschaftler für eine Weiternutzung der Kernenergie aussprachen (wir berichteten), veröffentlicht, da muss die Wut bei Spiegel Wissenschaftsredakteurin Susanne Götze hochgekocht sein. Zusammen mit der Kollegin Julia Koch produzierte sie kurzerhand ein Stück gegen die Erklärung. Gefahr war offenbar im Verzug. Der entsprechende Artikel ist allerdings hinter einer Bezahlschranke. Wir zitieren hier nicht daraus, geben ihn nur inhaltlich wieder. Susanne Götze, das sollte man wissen, hat Literaturwissenschaft, Politikwissenschaft und Geschichte an den Universitäten Potsdam, Paris und Grenoble studiert. Das sind eigentlich technikferne Studiengänge, aber sei es drum.

Nun gut, wie gehen Susanne Götze und Julia Koch dabei vor? Sie setzen sich kaum mit der Erklärung an sich auseinander, denn diese leugnet weder den menschgemachten Klimawandel, noch sprechen sich die Unterzeichner gegen Grüne Energiequellen oder eine Energiewende aus. Sie sehen eher das Zusammenspiel von Kernenergie mit anderer CO2-armen Erzeugung von Strom. Da dort also keine Punkte zu machen sind, geht es um eine kurz vor der Erklärung stattgefundene Tagung in Stuttgart, auf der auch etliche der Unterzeichner anwesend waren.

Und tatsächlich, dort werden die beiden “fündig”. Teilnehmer bei dieser Tagung waren nämlich unter anderem auch Björn Lomborg und Fritz Vahrenholt. Beide verfrachten die Autorinnen kurzerhand in die Klimaleugner-Schublade, was eindeutig falsch ist, aber welcher Leser merkt das schon? Vahrenholt ist davon überzeugt, dass CO2 das Klima erwärmt und nimmt einen Erwärmungsbetrag am unteren Ende der Möglichkeitsspanne des IPCC-AR5-Berichts an. Seine Meinung wird also sogar noch von den Klimaexperten des Weltklimarats für möglich gehalten. Ob Götze/Koch dies überhaupt wissen? Und Lomborg akzeptiert die IPCC-Hochrechnungen zur Klimaentwicklung sogar voll und ganz. Er glaubt jedoch, dass man mit Anpassung viel besser fährt als mit vollständiger Vermeidung. Die Spiegelautorinnen packen trotzdem beide fälschlicherweise in den “Klimaschmutzlobbysack”. Da nützt auch Vahrenholts Pionierarbeit in Sachen Windkraft nichts. Noch heute wird gern so getan, als wenn er höchstpersönlich über Jahre die Kohle in die Kessel der Kohlekraftwerke von RWE geschaufelt hat.

Weder Lomborg noch Vahrenholt leugnen den Klimawandel, auch nicht den menschgemachten. Lomborg wendet sich in erster Linie gegen den Klima-Alarmismus und erinnert an viele andere dringlichen Probleme der Menschheit. Vahrenholt kritisiert ebenfalls die Eskalation der Panik, weil es insbesondere solche Klimamodelle in die Medien schaffen, die von völlig unrealistischen Szenarien ausgehen, bei denen die Welt z. B. alle bekannten Kohlevorkommen verbrennen müsste, um das Szenario überhaupt zu erreichen. Im Fall Lomborg hätte den Autorinnen ein Blick ins Spiegel Archiv sicherlich etwas geholfen. In der Ausgabe 50/2009 und 12/2013 schrieb Lomborg zwei Debattenbeiträge für den Spiegel. Uuups.

Beide Meinungen gefallen den beiden Autorinnen nicht und daher wird die Stuttgarter Erklärung mit Kontaktschuld diskreditiert. Es ist schon erstaunlich, dass solche Stücke die interne Qualitätssicherung des Spiegels offenbar problemlos durchlaufen, denn weder Lomborg noch Vahrenholt haben die Stuttgarter Erklärung mitgezeichnet. Nochmal Uuups.

Eigentlich hätten einem Magazin, das einen der größten Presseskandale (Relotius) der letzten Jahre auf dem Buckel hat, einige Dinge auffallen müssen. Wenn die Autoren von “Vieles spricht dafür, dass…” schreiben, müssen beim Redigieren eigentlich alle Alarmsirenen angehen, wenn dann nicht mindestens ein Beispiel dafür genannt wird. Genauso ist es im Spiegel-Artikel passiert oder soll man besser sagen, nicht passiert?

Es bleibt festzustellen, die beiden Autorinnen waren nicht auf der besagten Tagung anwesend. Das ist auch der Grund, warum die Tagung oder die Beiträge dort nicht wirklich kritisiert werden. Es ist also allenfalls Hören-Sagen, was hier vorgebracht werden kann und die besagte Teilnehmerliste. Viel mehr hatten sie nicht, also wurde dieser Punkt für allerhand Anspielungen benutzt und es wurden Behauptungen ohne Belege gemacht. Das ist das Gegenteil von Journalismus.

Ein guter Chefredakteur oder Ressortleiter hätte diese Mängel erkennen können oder sogar müssen und die Autorinnen zur Nacharbeit verpflichtet. Nur hätte das erstens Zeit gekostet und zweitens wären bestimmte Vorwürfe nicht konkret zu belegen gewesen. Das Momentum so kurz nach der Stuttgarter Erklärung wollte man beim Spiegel offensichtlich nicht verpassen und hat dann geschwind so ein Stück aus dem Hut zaubern lassen.

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Das wird ein neues Dreamteam. Nachdem Deutschlands einzige Expertin für Energie – Claudia Kemfert- in sämtlichen Interviews, die gerade im Bereich Energie im TV gemacht werden, auftreten darf (muss?), dürfen wir uns beim angrenzenden Thema Nachhaltigkeit nun auf die Omnipräsenz von Maja Göpel freuen. Sie soll nach Angaben vom Handelsblatt eine neues “Center für Sozial-Ökologische Transformation” beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW aufbauen. Das DIW kann also zukünftig zwei Mitarbeiterinnen ins Rennen um Interviews und PR schicken. Obwohl ein Rennen ist es eigentlich nicht, andere Experten gibt es ja offenbar nicht oder die Sender sind einfach zu bequem oder unfähig nach anderen Gesprächspartnern zu suchen. Wer weiß es schon?

Löblich ist allerdings, dass Frau Göpel ihr Geld nicht mehr von einem Institut erhält, dessen Sponsor es mit dem Verbrennen von Schweröl (auch bekannt als Fracht-Schifffahrt) verdient. Wir berichteten von The New Institut und dem Intermezzo von Maja Göpel dort. Endlich klebt kein Öl mehr an den Geldscheinen in ihrer Geldbörse, wie schön.

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Wir hören momentan Mantra-artig, dass wir in Deutschland lediglich ein Wärmeproblem, aber kein Stromproblem haben. Da aber beides miteinander zusammenhängt, ist das etwas zu kurz gesprungen. Das fällt sogar Heise.de auf, die bisher einen strammen Anti-Atom-Kurs gefahren sind. Gregor Honsel kommentiert die Entwicklung. Wir haben wohl doch ein Stromproblem.

“Es stimmt zwar, dass die verbliebenen drei Atomkraftwerke nur gut sechs Prozent des deutschen Stroms erzeugen. Und dass Atomkraftwerke die Gaskraftwerke nicht eins zu eins ersetzen können: Letztere liefern oft auch Wärme und/oder Regelenergie, wozu AKWs nicht in der Lage sind. Und dass die maroden französischen Atommeiler die Energiekrise im Moment noch zusätzlich verschärfen.

Trotzdem könnten AKWs in Deutschland zumindest den Kohlestrom eindämmen. Das würde, wenn schon nicht der Versorgungssicherheit, so doch wenigstens dem Klima dienen. (Dass die Emissionen der Kohlekraftwerke langfristig durch den Emissionshandel gedeckelt seien, ist auch nur so ein halbgares Argument: Die Zeit spielt auch eine Rolle – je später eine CO₂-Senkung kommt, desto schlechter für das Klima.)”

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Bei den Grünen knarrt es im Gebälk. Wie können Grüne in München ernsthaft in Erwägung ziehen, dass das Kernkraftwerk Isar II in den Streckbetrieb geht? Haben die Münchener Parteifreunde denn nicht den Grünen Sprechtext gelesen und auswendig gelernt und den sie dann brav absingen sollten? Jürgen Trittin, der eigentlich keine Spitzenposition bei den Grünen mehr bekleidet, war laut Welt jedenfalls arg zerknirscht. Er gibt gern den Zuchtmeister á la Herbert Wehner und ruft die Grünen zur Ordnung oder lässt Sprechzettel über den Vorstand verteilen.

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Stichwort Grüne. Der Tagesspiegel rechnet mit den Grünen ab – und zwar gnadenlos.

Die Grünen sind mitverantwortlich für die Energiekrise

“Alles hat eine Ursache. Dass es einen kausalen Zusammenhang gibt zwischen Atom- und Kohleausstieg einerseits und deutscher Gas-Abhängigkeit andererseits, dürfte evident sein. Die Sorge um Radioaktivität, Atommüll und Kohlendioxid-Emissionen verdrängte die geopolitische Sicht auf den Profiteur dieser Sorge – Wladimir Putin. Die Mitverantwortung für das daraus resultierende Debakel kann den Grünen keiner abnehmen.”

Als Rot/Grün 2005 die Pipeline Nordstream 1 beschlossen, da hieß der Umweltminister übrigens Jürgen Trittin.

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Leserpost von Paul Schwedtke:

Guten Tag, liebe Redaktion,

beim Marsch durch die Instanzen geht die Grüne Jugend voran: Ablehnung von Kernkraft! Frankreich hat viele AKWs abgeschaltet. Entgangen ist der Grünen Jugend, dass Sommer herrscht. Die Energie der Kernkraftwerke wird jetzt nicht voll gebraucht. Darum die Wartung. Im Winter heizt Frankreich mit der Bindungsenergie dieser Kraftwerke. Das, lt. Grünen-Chefin, geht bei uns nicht: AKWs produzieren doch Strom, wir  aber brauchen Wärme.  Eine Argumentationsführung für die ganz Dämlichen.  Wie wird es klingen, wenn deren Hintern demnächst kalt werden?

Ein schönes Wochenende wünscht Paul Schwedtke

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Leserpost von Hans Dieter Müller:

Anbei eine von mir entworfene Grafik, die den immensen Aufwand hin zur sog. Energiewende zeigt. Nicht umsonst hatten wir bereits vor Corona und Ukraine mit die höchsten Energiepreise. Wenn ich mir das Bild genau betrachte, könnte auch die angestrebte CO2 Reduzierung wegen der großen Mengen Beton, Stahl Transport und Aufbau und Service scheitern.

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