Die Sonne im September 2017 und die arktische Schmelzsaison

Von Frank Bosse und Fritz Vahrenholt

Liebe Leser, seit Beginn unseres monatlichen Blogs hier im November 2012 sind Sie es gewöhnt, dass der erste Satz sinngemäß lautet: „Die Sonne war auch im letzten Monat unterdurchschnittlich aktiv“. Mit dieser Ausgabe können wir dies endlich einmal durchbrechen und wir hoffen, dass auch Sie dies gebührend feiern. Denn die Sonne war im September tatsächlich ein wenig aktiver als der Mittelwert für diesen Zyklusmonat aller bisher systematisch beobachteten Zyklen seit 1755! Die festgestellte Fleckenanzahl (SunSpotNumber, SSN) betrug 43,6, das sind 14% mehr als üblich für den Monat. Besonders bis zum 10. des Monats waren sehr viele Flecken zu beobachten, recht gleichmäßig zwischen der Nord-und der Südhemisphäre der Sonne verteilt mit nur geringem Übergewicht des Nordens. Wir hatten im letzen Report ja schon über die mächtige Sonneneruption am 6. September berichtet und die war das Ergebnis der hohen Aktivität unseres Zentralgestirns zu Beginn des Septembers. In unserer regelmäßigen Graphik macht sich dies ebenso bemerkbar:

Abb.1: Die monatliche Aktivität der Sonne über den Zyklus 24 (rot), der im Dezember 2008 begann. Der Mittelwert der SSN über alle vollendeten 23 Zyklen seit 1755 ist blau markiert, der in den letzten Jahren zum aktuellen SC (Solar Cycle) 24 recht ähnliche Zyklus 5 ist schwarz abgetragen.

 

Sie erkennen, dass die rote Linie deutlich über der blauen liegt im letzten Monat; dies kam so über den gesamten Zyklus noch nicht vor. Solch aufflackernde Aktivität im letzen Zyklusdrittel ist nicht ungewöhnlich. Die heftigsten Eruptionen („X-Flares“) kommen fast ausschließlich in diesen Zeiträumen vor, sehr selten vor dem SSN-Maximum eines Zyklus:

Abb.2: Die jährlich aufsummierte Energie der stärksten Flares der Zyklen 21…23 (blau) im Vergleich zu den SSN-Zahlen (orange) der Zyklen.

 

Auch in dieser Beziehung ist der Zyklus 24 übrigens sehr, sehr schwach: die akkumulierte X-Flare Energie liegt bisher bei  20 in 2017, in 2016 war sie null. Der Vergleich der Fleckenaktivität der Zyklen untereinander wird durch das Aufflackern der Aktivität im September kaum beeinflusst:

Abb.3: Die aufsummierte Fleckenaktivität der Zyklen 1…24 bis zum aktuellen 106. Monat des Zyklus 24. Es wurden die Differenzen zwischen den Zahlen der Monate der Zyklen und dem langjährigen Mittelwert ( blau in Abb.1) betrachtet.

 

Der Zyklus 24 bleibt weiterhin der drittschwächste seit Beginn der systematischen Beobachtungen. Er ist damit seit dem Dalton- Minimum vor 200 Jahren der am wenigsten aktive Zeitraum der Sonnenaktivität.

 

Die arktische Schmelzsaison im Jahre 2017

Der September ist in jedem Jahr der Monat mit der geringsten Eisbedeckung in der Arktis, die Schmelzsaison geht zu Ende.  Zeit also für eine Zusammenfassung. Vor dem eigentlichen Beginn des stärkeren Schmelzens Anfang Mai  schreckten Meldungen wie diese auf:  Forscher sind „schockiert“ über die geringe Eismenge zu Beginn der Schmelzsaison. Die Warnungen von Greenpeace sind wie immer eindringlich: „Wenn das ewige Eis schmilzt“. Die Wintersaison 2016/17 war sehr warm in der Arktis, der eine oder andere Alarm wurde ausgerufen.

Es gibt jedes Jahr „Experten“,  die einen neuen Negativrekord der Arktis erwarten. In diesem Jahr wurde das geringe Eisvolumen des Modells „Piomas“ im Frühjahr als Fingerzeig für neue bisher unerreicht geringe Meereisausdehnungen benutzt. Dass der bisherige niedrigste Wert der Eisausdehnung (Fläche mit mindestens 15% Eisanteil= Sea Ice Extent) von 2012 unterschritten werden würde, galt für viele Beobachter bereits 2016 als recht sicher. Aber erstens kommt es anders und zweitens als man denkt! Hier der gemessene tägliche Verlauf der Extent-Anomalie über die gesamte Saison:

Abb.4: Die Anomalie ( die täglichen Daten als Differenz zu den Mittelwerten der 2000er) der Eisausdehnung (Extent) seit 2007.

 

Gut in Abb.4 zu erkennen ist das Minimum des Jahres 2012. Seit Mitte Juni bewegte sich der Extent des Jahres 2017 bei ca. -1 Mio. km² Abweichung und blieb dort sehr konstant weit weg von jedem Rekord. Die Saison schloss im Minimum (Mitte September) im Mittelfeld aller Jahre seit 2007. Am Ende blieben etwa 1,3 Mio km² mehr Eis übrig als im Jahre 2012, auch gegenüber 2007 waren es 0,4 Mio km² mehr. Mit den monatlichen Daten des NSIDC ergibt sich dieses Bild seit Beginn der satellitengestützten Aufnahme der Daten:

Abb. 5: Die September-Eisausdehnung mit einer 10-jährigen Glättung. Der Rückgang seit 1979 und die leichte Aufwärtsbewegung seit 6 bis 7 Jahren zeichnen sich deutlich ab.

 

Viel war in der Vergangenheit von der „arktischen Todesspirale“ zu lesen.  Ein (damals, 2012) oft zitierter „Experte“ verstieg sich zu der Prognose einer eisfreien Arktis in 2015. Davon ist in Abb. 5 nur nicht viel zu sehen. Ein oft benutztes Argument für den schnellen „Eis-Tod“ im  arktischen Sommer ist der „Eis-Albedo-Effekt“: Verringert sich das gut reflektierende helle Meereis erst einmal, trifft die im Sommer sehr intensive Sonneneinstrahlung ( sie wirkt dann 24h/Tag) auf viel dunklere Meeresoberflächen, die dann diese Energie aufnehmen und damit noch mehr Eis schmelzen lassen. Eine positive Rückkopplung, die so verhindert, dass wieder mehr Eis gebildet werden kann. Das Ende wäre unausweichlich! Abbildung 5 zeigt, dass das so nicht sein kann.

Im Juni 2017 erschien eine interessante Zusammenfassung der wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Thema. Dort wird von Dirk Notz vom Hamburger Max-Planck- Institut für Meteorologie klargestellt, dass der Eis-Albedo-Effekt von negativen Rückkopplungen überlagert wird. Er führt aus:

“Three negative feedbacks are particularly important: First, the open ocean very effectively releases its heat to the atmosphere during winter, causing a rapid loss of much of the heat that was accumulated in the icefree water during summer. Second, the thin ice that forms during winter can grow much more rapidly than ice that survived the summer, because heat can more effectively be transported from the ocean to the atmosphere when the ice cover is thin (Bitz and Roe, 2004). Third, as ice forms later in the season, it will carry a thinner insolating snow cover as any snow fall occurring before ice formation simply falls into the open ocean (Notz, 2009).”

Damit entpuppen sich alle Vorhersagen einer eisfreien Arktis in naher Zukunft als das was sie sind: unwissenschaftliche Propaganda. Wohlgemerkt: die Arktis wird auch durch einen menschlichen Einfluss auf die globalen Temperaturen, der von uns nie bestritten wurde, tendenziell wärmer als der Rest des Planeten. Nur interagieren auch hier natürliche Einflüsse, die man bisher nicht genug berücksichtigte. So erschien in „Science“ im  April 2017 eine vielbeachtete Arbeit, die dem Einströmen von nordatlantischen Wässern eine große Bedeutung für die Arktis zuweist. Im Nordatlantik jedoch wirkt eine multidekadische Variabilität (AMO, vergleiche unsere Artikel zum Thema z.B. hier ) sehr ausgeprägt und die ist bis heute kaum durch Modelle zu reproduzieren. Selbst deren global zu warm laufenden Projektionen sagen eine eisfreie Arktis erst deutlich nach 2050 voraus. So bleibt es auch mit dem arktischen Eis eher unspektakulär gegenwärtig. Wenn Sie an fundierten Vorhersagen interessiert sind, schauen Sie doch nächstes Jahr im Juli einmal hier hin.

Beim  „Sea Ice Prediction Network“  schätzen einige ausgesuchte Vorhersager aufgrund von vielen Beobachtungen und Modellen  den möglichen September-Extent der jeweiligen Saison. Die Juni-Prognosen waren (bis auf ein, zwei  von 33) auch in diesem Jahr deutlich über dem 2012er Minimum.

Abb.6: Die Vorhersage des Extent-  Septemberminimums vom Juni 2017. Dessen  Mittelwert lag bei 4,43 Mio km², der Wert für 2012 beträgt 3,63 Mio km² und eingetreten sind 4,87 Mio km². (Quelle)

 

Der Mitautor dieses Artikels sagte dort übrigens bereits im April aufgrund der atlantischen Beeinflussung der Arktis (vgl. auch die oben erwähnte Arbeit in „Science“) die Eisausdehnung des Septembers 2017 auf 4,62 Mio. km² voraus, die Abweichung vom realen Wert betrug nur 5%, besser als der Mittelwert aller beteiligten Forecaster (9%). Es gibt Wissenschaftler, die auch für die nächsten 5-10 Jahre einen im Vergleich zu den Jahren 2005…2010 (vgl. Abb.5) stark verlangsamten Trend des arktischen Extent-Verlustes annehmen. Die AMO hat daran ihren Anteil, sie hat ihre wärmste Phase hinter sich. Auch im Falle der Arktis gilt: Propaganda und Wissenschaft vertragen sich schlecht. Wenn Sie also im nächsten Jahr wieder von kurz bevorstehenden Eiskatastrophen („ eisfreie Arktis im Sommer!“) lesen oder hören… je drastischer die Wortwahl desto unglaubwürdiger die Aussage.

 

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