Mitte Juli 2012 lief auf Arte der neue Dokumentarfilm “Klimawelten – Von den Kap Verden zur Hudson Bay”. Autor des Films ist die Soziologin und Filmemacherin Tink Diaz. Auf ihrer Webseite schreibt Diaz über den Film:
Eine Gruppe von jungen Sozial- und Kulturwissenschaftlern erforscht zurzeit [die] „menschlichen“ Folgen des Klimawandels an ausgewählten Küstenorten der vier Weltmeere. Die Doktoranden sammeln Daten, die für die Entwicklung von Klimaschutzstrategien weltweit dringend benötigt werden. Wir begleiten zwei dieser jungen Forscher mit unserer Kamera – die Ethnologinnen Jelena Adeli und Claudia Grill. Sie forschen an den denkbar unterschiedlichsten Orten der Welt: die eine in West Afrika, die andere am Rand der kanadischen Arktis. Die beiden wollen wissen, ob die lokalen Bevölkerungen die Zunahme von verheerenden Stürmen, Dürre und schmelzendem Eis wahrnehmen, und wenn ja: wie sie diese Veränderungen deuten. Als Strafe Gottes? Oder – ähnlich wie vielerorts in der westlichen Welt – als eine Art von Wetterkapriole, wie es sie immer schon mal gegeben hat? Jelenas und Claudias Forschungsmethode ist die teilnehmende Beobachtung. Und so tauchen auch wir mit unserer Kamera für eine Weile hinein in die Lebenswelt von dürregeplagten afrikanischen Bauern und Fischern. Ebenso lernen wir sub-arktische Jäger und Fallensteller kennen, die das schmelzende Eis weder als von Menschen verursacht interpretieren, noch als Bedrohung empfinden. Doch nur 300 km weiter nördlich treffen wir zusammen mit Claudia auf Inuit, die das alles wiederum anders sehen….
Der Film ist auf youtube anschaubar. Auch auf der Arte-Webseite wird er demnächst möglicherweise zur Verfügung gestellt.
Ziel des Films ist es herauszufinden, was die Menschen in den beiden Studiengebieten über den Klimawandel denken. Es geht explizit nicht darum, die wissenschaftlichen Grundlagen des Klimawandels darzustellen und zu diskutieren, sagt die Filmemacherin in ihrer Doku. Den Ball nehmen wir daher gerne auf und wollen im Folgenden überprüfen, ob die im Film enthaltenen Aussagen zum Klimawandel plausibel sind und in welchem Kontext sie zu sehen sind.
Der erste Teil des Films spielt in Churchill an der kanadischen Hudson Bay, wo die Österreicherin Claudia Grill ihre soziologischen Forschungen durchführt. Ausgangspunkt ist die Beobachtung, dass sich das arktische Meereis in der Bucht in den letzten Jahrzehnten immer später im Jahr bildet und im Frühling dann auch wieder früher aufbricht. Dadurch haben die Eisbären in der kalten Jahreszeit weniger Zeit, um auf dem Eis herumzulaufen und nach Robben zu jagen. Stattdessen lungern die Bären nun verstärkt in Churchill herum. Eine erste Anpassung an den Klimawandel wäre, dass die Leute in Churchill jetzt den Schlüssel im Auto stecken lassen, damit sich die Bevölkerung im Falle eines Eisbärenangriffs im jeweils nächstgelegenen Wagen in Sicherheit bringen können. Im Film wird zudem die These aufgestellt, dass die Eisbären daher in 30 Jahren ausgestorben sein werden und ihre Zahl angeblich bereits abgenommen hätte. Dies würde dann zu einem ökonomischen Desaster führen, da die Leute in Churchill momentan noch viel Geld mit dem Eisbärtourismus verdienen.
Wir wollen dies kurz überprüfen. Die Meereisbedeckung hat in den vergangenen 30 Jahren in der Tat abgenommen (Abbildung 1), was gut zu einer insgesamt kürzeren Meereis-Saison in der Hudson Bay passen würde. Dabei sollte man jedoch auch beachten, dass die Meereisbedeckung in den letzten 5 Jahren relativ stabil geblieben ist.
Warum hat die Meereisbedeckung in den letzten Jahrzehnten eigentlich abgenommen? Klar, es ist 1977-2000 wärmer geworden, da ist es normal, dass auch das arktische Meereis schmilzt, bis wieder ein Gleichgewicht erreicht ist. Da dies aufgrund der Trägheit des Systems nur zeitverzögert passiert, erklärt sich auch das Schmelzen bis 2007. Was im Film leider überhaupt nicht angesprochen wurde, ist der Umstand, dass diese Meereisschmelze keinesfalls ein „noch niemals dagewesenes Ereignis“ darstellt. Vor etwa tausend Jahren, zur Zeit der Mittelalterlichen Wärmeperiode gab es nämlich bereits ähnlich meereisarme Bedingungen im arktischen Raum. Die Wikinger nutzten die Situation aus und kreuzten mit ihren Schiffen munter durch das eisarme Nordpolarmeer, auf dem Weg nach Island, Grönland und Neufundland. Die damals in der Hudson Bay lebenden Inuit und Cree-Indianer mussten ganz ähnliche Dinge erlebt haben wie sie sich heute abspielen. Leider konnten die Naturvölker ihre Erfahrungen nicht schriftlich festhalten, so dass man die Eisarmut in der Hudson Bay während der Mittelalterlichen Wärmeperiode gerne übersieht. Auch der Film ignoriert dies leider, so dass ein verzerrter Kontext entsteht. Die Möglichkeit, dass die heutige Eisschmelze vielleicht nur Teil der natürlichen Klimazyklik ist, bleibt unerwähnt.