„Selbst die Papstwahl ist demokratischer“- Fundstücke zum Bundesverfassungsgericht

Ausgegraben von Peter Henne

Es ist wie immer. Man liest irgendetwas, das einem irgendwie merkwürdig erscheint und kommt dann auf die Idee, doch selbst mal nachzusehen. Und schon beginnt der Prozess, den Geologen gut kennen. Man beginnt mit einem Bagger einen Schacht zu graben. Überraschenderweise finden sich dann immer wieder Dinge unter der Oberfläche, die das Gelesene in neuem Licht erscheinen lassen.

So auch bei diesem Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Dem Urteil folgte eine ungewöhnlich schnelle Reaktion der Politik zur Änderung des Gesetzes. Nur 13 Tage nach dem Urteil brachte die Regierung ein geändertes Klimaschutzgesetz auf den Weg. Man hörte regierungsseits keine Kritik und es schien fast so, als ob man über das Urteil erfreut sei. Wobei das Urteil eindeutig in die Kompetenz der Politik massiv eingreift und sozusagen selbst Gesetzgeber wird, das sollte in aller Regel Richterschelte auslösen. Aber nichts dergleichen geschah.

Aha, denkt man sich, das passt irgendwie nicht richtig zusammen. Die Justiz sollte ja unabhängig von den beiden anderen Staatsgewalten agieren, wo also steht das BVerfG im Staat, wer wählt die Richter und wie unabhängig sind diese Personen? Hier stehen schon mal Aufgaben und Wahlmodus. Das hört sich doch vernünftig an. Also mal den Sondierungsbagger anwerfen und den Schacht beginnen. Wie kommt man in die Position eines Verfassungsrichters? Das steht auf der gleichen Seite:

„Jeweils die Hälfte der Richter in beiden Senaten wird vom Bundesrat gewählt, die andere Hälfte von einem aus zwölf Mitgliedern bestehenden Wahlausschuss des Bundestages. Zur Richter-Wahl ist in den Gremien eine Zweidrittelmehrheit notwendig. Um diese Mehrheit zu erlangen, haben sich in der Vergangenheit CDU/CSU und SPD meist ein gegenseitiges Vorschlagsrecht eingeräumt und im Vorfeld auf eine Frau oder einen Mann als Kandidaten geeinigt.“

Da klingelt doch sofort der Kungeldetektor. Und in der Tat: Wolfgang Neskovic, früher Richter am Bundesgerichtshof, beschreibt das Vorschlag-Verfahren so:

„Es war also morgens um acht Uhr, wirklich zwischen Tür und Angel in einem Casino-Raum des Reichstages, also kalter Rauch und auch Alkoholgeruch prägten das Raumklima und das Ganze war auf eine Fünf-Minuten-Abnick-Aktion ausgerichtet. Es lagen also vorbereitete Stimmzettel bereit, wo auch nur ein Kandidat aufgeführt war, den bis auf die beiden Mitglieder, die diesen Kandidaten ausgeguckt hatten, praktisch niemand kannte. Und alle waren auch bereit, ohne weitere Vorstellung diesen Vorschlag abzunicken. Bei der zweiten Sitzung waren die räumlichen Verhältnisse etwas angemessener, das Verfahren war genauso unangemessen.“

Oha, und er führt weiter aus:

„Hier hat sich ein System der Heimlichkeit und der Mauschelei etabliert, das ist vordemokratisch und einer Demokratie unwürdig.“

Immerhin von einem ehemaligen Richter am Bundesgerichtshof öffentlich geäußert. Und wie werden die Richter ausgewählt? Hier stößt der Bagger auf eine sehr interessante Ader:

„Allerdings liegt eine gewisse Parteinähe der Richter auch in der Natur des Wahlverfahrens, das sie nach Karlsruhe befördert: Richter des BVerfG werden je zur Hälfte vom Bundestag und Bundesrat gewählt. Erforderlich ist jeweils eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Das führt dazu, dass sich vor allem Union und SPD die Vorschlagsrechte untereinander aufteilen. Die kleineren Parteien konnten bisher immer nur einen Verfassungsrichter vorschlagen, wenn ihnen Union und SPD ein Benennungsrecht abtraten.“

So eine Studie am Mannheimer Zentrum für Europäische Sozialforschung. Das heißt doch nichts anderes, als dass sich die beiden großen Parteien auf Jahre hinaus die Mehrheit der Richter sichern. Sechs der acht Richter des derzeitigen ersten Senats erhielten ihren Sitz aufgrund der Vorschläge von CDU/CSU und SPD. Dankbarkeit wird keine erwartet, aber doch wohl gewährt. Zitat aus der Studie:

„Parteinähe spielt bei den Entscheidungen der Richter – trotz ihrer formalen Unabhängigkeit – sehr wohl eine Rolle. Das Entscheidungsverhalten der Richter des Zweiten Senats sei im Untersuchungszeitraum „nicht völlig unabhängig von Parteilinien“ gewesen, resümieren die Forscher.“

Und da wäre auch noch der Deutschlandfunk, den die konservative SZ (SZ vom 07.12.1998) zitiert:

„Hinter verschlossenen Türen bestimmen einige wenige Politiker aus SPD und Union, wem sie es in die Hand geben, über ihre eigenen Gesetze zu urteilen. Ein Verfahren, von dem der Karlsruher Korrespondent der „Süddeutschen Zeitung“, Helmut Kerscher, einmal schrieb:

„Verglichen mit der Wahl deutscher Verfassungsrichter ist die Papstwahl ein Vorbild an Transparenz und Demokratie.“    

Soso. Und wenn es ganz dick kommt, entsorgt man schon mal einen gescheiterten CDU-Minister-präsidenten, nein nicht nach Brüssel, sondern nach Karlsruhe. Da platzt sogar dem Verfassungsrechtler Hans Herbert von Arnim der Kragen.

„Sollte Peter Müller tatsächlich ins Bundesverfassungsgericht gewählt werden, wäre das ein weiterer Schritt in den Parteienstaat“

Ergebnis: Müller sitzt jetzt im zweiten Senat. Der Vorsitzende des ersten Senates, Stephan Harbarth, war übrigens für 2 Jahre stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag. Sie wollen noch tiefer ausschachten? Die Zeitschrift „Betrifft Justiz“ bezeichnet den faktischen Ausschluss kleiner Fraktionen und die Nichtöffentlichkeit der Wahl als verfassungswidrig. Sollten Sie sich auch noch für die Äußerungen eines weiteren pensionierten Richters zum Zustand des restlichen Justizsystems interessieren- es leidet bis heute an einem Geburtsfehler- finden Sie hier eine sehr lesenswerte Seite zum Thema: Idee und Wirklichkeit der Gewaltenteilung in Deutschland. Dies betrifft die gesamte sonstige Judikative. Lesenswert bis zur letzten Seite. In diesem Licht dürfen Sie nun den Besuch beider Senate des BVerfG bei der Kanzlerin kurz nach dem Urteil betrachten. Für die Jüngeren unter Ihnen: Das Tagungsprotokoll  wird evtl. in 30 Jahren freigegeben.

+++

Werbung:

Das Buch „Unanfechtbar?: Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz im Faktencheck“ ist jetzt bei Amazon wieder erhältlich.

Teilen: