Schlechte Berater: Kleine Anfrage an die Niedersächsische Landesregierung zum Klimawandel

Ende Juni 2016 wandten sich die Abgeordneten Dr. Gero Hocker, Jan-Christoph Oetjen, Sylvia Bruns und Christian Grascha (FDP) mit einer Kleinen Anfrage an die Niedersächsische Landesregierung. Am 27. Juli 2016 antwortete das Niedersächsische Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz namens der Landesregierung, gezeichnet von Stefan Wenzel, dem Umweltminister der Grünen. Veröffentlicht wurde das Ganze als Drucksache 17/6056 des Niedersächsischen Landtags (pdf hier). Im Folgenden die sechs Fragen der FDP („Hocker et al.“) sowie die Antworten des Ministeriums („Landesregierung“).

1. FRAGE (Hocker et al.):

Der IPCC erklärte in seinem letzten Bericht von 2013, dass  gängige Klimamodelle die empirisch gut belegte Mittelalterliche Wärmephase vor 1000 Jahren nicht reproduzieren können (Kapitel 5.3.5 in „The Physical Science Basis“). Inwieweit können paläoklimatologisch schlecht kalibrierte Modelle nach Auffassung der Landesregierung überhaupt für Zukunftsmodellierungen eingesetzt werden?

ANTWORT (Landesregierung):

Die hier angesprochenen Modelle geben die beobachteten Muster und Trends des Klimas über viele Dekaden der Erdoberflächentemperatur im kontinentalen Maßstab wieder, einschließlich der stärkeren Erwärmung seit Mitte des 20. Jahrhunderts und der unmittelbar auf große Vulkaneruptionen folgenden Abkühlung (laut IPCC AR5, 2013). So wird im AR5 aufgezeigt, dass die heutigen Klimamodelle die aus gemessenen Temperaturen abgeleitete globale Mitteltemperatur seit Mitte des 19. Jahrhunderts (Beginn der Temperaturaufzeichnungen), die sowohl natürlichen als auch anthropogenen Einflüssen unterliegt, gut simulieren können.

Die Klimamodelle werden an dem heutigen Klima und an dem Klima der Vergangenheit geeicht. Man schreibt für das heutige (bzw. historische) Klima die entsprechenden Randwerte wie Sonneneinstrahlung und Konzentration der Treibhausgase vor, berechnet das Klima und vergleicht dieses mit den Beobachtungen. Die Tatsache, dass die Klimamodelle das heutige (bzw. historische Klima) hinreichend genau simulieren, zeigt, dass man sie auch zur Berechnung des zukünftigen Klimas einsetzen kann (Max Planck Institut für Meteorologie, http://www.mpimet.mpg.de/kommunikation/fragen-zu-klima-faq/wie-kann-man-klimaveraenderungen-vorhersagen/).

Zur Simulation der Mittelalterlichen Wärmephase: Für den hier angesprochenen Zeitraum gibt es keine direkten Messwerte. Daher muss das damalige Klima aus Proxy-Daten rekonstruiert werden (z. B. Baumringe oder Sedimentbohrkerne) unter Zuhilfenahme von vielfältigen Informationen aus historischen Aufzeichnungen (z. B. zu Ernteerträ-gen, Deichreparaturkosten, Segelzeiten von Schiffen).

Die Treibhausgase waren bis zu Beginn der Industrialisierung überwiegend natürlichen Ursprungs. Die Sonnenaktivität und der Vulkanismus für diesen Zeitraum werden ebenfalls aus Proxy-Daten hergeleitet. Trotz der bestehenden Unsicherheiten in den Antriebsdaten können die Klimamodelle anhand des Temperaturverlaufs die „Mittelalterliche Warmzeit“ (ca. 950 bis 1250) genau wie die „Kleine Eiszeit“ (1400 bis 1850) und die anthropogene Klimaerwärmung der Neuzeit gut simulieren (Nach Cubasch, „Die Rolle der Sonne im Klimasystem“, Sitzungsbericht der Leibniz-Sozietät der Wissenschaft zu Berlin, 103, 2009, 149-158, http://leibnizsozietaet.de/wp-content/uploads/2012/10/Gesamtband-SB-103-2009.pdf).
Unter diesen Voraussetzungen hält die Landesregierung die gängigen Klimamodelle für ausreichend kalibriert.

KOMMENTAR KALTE SONNE-REDAKTION:

Hier liegt das Ministerium komplett daneben. Im 5. IPCC-Bericht (AR5) wird schwarz auf weiß eingeräumt, dass die aktuellen Klimamodelle die Mittelalterliche Wärmeperiode (MWP) NICHT reproduzieren können. Das hält das Ministerium jedoch nicht davon ab. das glatte Gegenteil zu behaupten. Ein Unding. Verwiesen wird auf eine vermutlich nicht einmal fachlich begutachtete astronomische Festschrift, in der Ulrich Cubasch fälschlicherweise behauptet, im 4. IPCC-Bericht (AR4) von 2007 hätte man die MWP verlässlich reproduzieren können. Ein einziger Blick auf die Graphik auf S. 153 in der Festschrift reicht aus, um den Fehlschluss als solchen zu entlarven. Cubasch macht zur genauen Herkunft der Graphik aus dem voluminösen Bericht keine näheren Angaben. Interessanterweise taucht sie im entsprechenden Kapitel „Climate Models and their Evaluation“ überhaupt nicht auf. Mysteriös. Auch erscheint der Begriff „Medieval“ im Kapitel mit keiner Silbe. Überhaupt ist es eine verwegene Idee, eine Aussage aus dem AR5 mit dem veralteten AR4 entkräften zu wollen. Die von Cubasch getätigte und von der Landesregierung wiederholte Aussage ist nicht korrekt.

 

2. FRAGE (Hocker et al.):

Der letzte IPCC-Bericht räumt ein, dass bis zu 50 % der Erwärmung der letzten 150 Jahre natürlichen Ursprungs sein könnten (deutschsprachige Berichtszusammenfassung, Abschnitt D.3). In der Tabelle der Klimafaktoren tauchen jedoch lediglich solare Aktivitätsschwankungen mit einer angeblich vernachlässigbaren klimatischen Wirkung auf. Wie passt dies zusammen, und welche Schlüsse zieht die Landesregierung aus dieser offensichtlichen Diskrepanz?

ANTWORT (Landesregierung):

Die Frage 2 impliziert, dass der natürliche Klimaeinfluss ausschließlich auf die Schwankung in der solaren Einstrahlung zurückzuführen sei. Daneben gibt es jedoch noch weitere wichtige natürliche Faktoren, die das Klima beeinflussen, wie z. B. die interne Variabilität des Klimas, die auf ganz unterschiedlich langen Zeitskalen stattfindet (u. a. durch die Wechselwirkung zwischen Atmosphäre und Ozean, z. B. ENSO-Zyklus) oder die natürlich freigesetzten Aerosole aufgrund von Vulkanismus. Das Zusammenwirken der unterschiedlichen anthropogenen Einflüsse und der unterschiedlichen natürlichen Einflüsse führt nach neuestem Stand der Wissenschaft zu den hier angesprochenen Aussagen des IPCC, insofern wird bei dem in Frage 2 dargelegten Sachverhalt keine Diskrepanz gesehen.

KOMMENTAR KALTE SONNE-REDAKTION:

Das Ministerium versucht den natürlichen Teil der Wiedererwärmung seit der Kleinen Eiszeit als nicht-kontrollierbares Klimarauschen abzutun. Das ist wenig überzeugend, insbesondere da es sich um einen deutlichen Langfristzyklus mit Mittelalterlicher Wärme, Kleiner Eiszeit und Moderner Wärmeperiode handelt. Hier hat der Ministeriumsschreiber sicher kräftig geschwitzt, bis ihm eine (schlechte) Lösung eingefallen ist.

 

3. FRAGE (Hocker et al.):

Wie bewertet die Landesregierung Studien, die besagen, dass es eine starke klimatische Wirkung solarer Aktivitätsschwankungen in den letzten 10 000 Jahren gab?

ANTWORT (Landesregierung):

Siehe Antwort zu Frage 4.

KOMMENTAR KALTE SONNE-REDAKTION:

Eine Vielzahl von Studien hat die enge Verknüpfung zwischen Sonne und Klima eindrucksvoll belegt. Die Landesregierung geht nicht darauf ein, verdrängt es lieber. Kein Kommentar. Alles nur Rauschen. Hier gibt es nichts zu sehen, weitergehen.

 

4. FRAGE (Hocker et al.):

Wie schätzt die Landesregierung vor dem Hintergrund dieser Studien die aktuelle klimatische Wirkung solarer Aktivitätsschwankungen ein?

ANTWORT (Landesregierung):

Da nicht bekannt ist, auf welche Studien sich Frage 3 bezieht, werden die Fragen 3 und 4 mit folgenden wissenschaftlichen Ergebnissen zur Wirkungsweise solarer Aktivitätsschwankungen beantwortet:
– Veränderungen der Sonneneinstrahlung waren wahrscheinlich Auslöser für die Abfolge von Eis- und Warmzeiten in einem Zyklus von etwa 100 000 Jahren.
– Schwankungen der solaren Strahlung (elfjähriger Zyklus) beeinflussen nur die obere Atmosphäre stärker, die mittlere und die erdnahe Atmosphäre aber nur unwesentlich.
– Die globale Erwärmung im 20. Jahrhundert ist nur zu einem geringen Anteil von etwa 10 % auf Einwirkungen durch die Sonne zurückzuführen.
(Quelle und nähere Informationen: Klima Konkret: Klimafaktor Sonne – Wie beeinflusst die Sonne das Klima der Erde? (Climate Service Center 05/2014), http://www.climate-service-center.de/053444/index_0053444.html.de.)

KOMMENTAR KALTE SONNE-REDAKTION:

In der Tat, das Ministerium hat keinen blassen Schimmer von den Studien zur solaren Klimabeeinflussung. Hier hätte man sie finden können. Stattdessen redet man sich mit Allgemeingeplaudere zu Milankovic und Schwabezyklus heraus. Interessanterweise gesteht man dann der Sonne einen 10%-Anteil an der Erwärmung des 20. Jahrunderts zu. Ob der geringe IPCC-Strahlungsantrieb der Sonne das wohl leisten kann? Der Link zur Sonnen-Broschüre des Climate Service Center führt dann ins Leere. Kein Anschluss unter dieser Nummer. Lediglich das Buchcover kann man sich anschauen.

 

5. FRAGE (Hocker et al.):

Inwieweit kann die Landesregierung ausschließen, dass der Einfluss der solaren Aktivitätsschwankungen bei der Klimaerwärmung des 20. Jahrhunderts höher liegt als bisher angenommen?

ANTWORT (Landesregierung):

Der aktuelle Stand der Wissenschaft ist im IPCC AR5 veröffentlicht (siehe die zuvor genannten wissenschaftlichen Aussagen).

KOMMENTAR KALTE SONNE-REDAKTION:

Verweis auf den AR5, der jedoch keinen Sinn macht, denn die vielen Fallbeispiele solarer Beeinflussung des vorindustriellen Klimas bleiben weiterhin unerklärt und der im AR5 selbst eingeräumte Modellierungsfehlschlag der MWP wird einfach verdrängt.

 

6. FRAGE (Hocker et al.):

Das Jahr 1850 wird in politischen Diskussionen oftmals als Bezugspunkt von Betrachtungen zum Klimawandel verwendet. Inwiefern hält die Landesregierung diesen Bezugspunkt für geeignet, berücksichtigend, dass es sich um die Schlussphase der sogenannten Kleinen Eiszeit handelt, einer natürlichen Kälteperiode, die eine kalte Extrementwicklung in der Klimageschichte der letzten 10 000 Jahre darstellt?

ANTWORT (Landesregierung):

In der Klimaforschung wird die Temperaturentwicklung bis heute beginnend mit dem Jahr 1850 betrachtet, da ab 1850 die Industrialisierung zu vermehrten Treibhausgasemissionen führte. Die Konzentration von CO2 in der Atmosphäre ist seit 1850 stark angestiegen, von dem für Warmzeiten seit mindestens 700 000 Jahren typischen Wert von 280 ppm auf inzwischen 400 ppm (2013). Jedoch werden die heutigen oder künftigen Temperaturverhältnisse (betrachtet als Mittelwert über eine Periode von z. B. mindestens 30 Jahren) nicht mit der Temperatur eines einzelnen Jahres, z. B. 1850, allein verglichen, sondern stets auch mit einem Mittelwert über eine Periode von min-destens 30 Jahren, je nach Fragestellung (wie z. B. 1881 bis 1980 (im Jahr 1881 begannen die Aufzeichnungen der Beobachtungen) oder 1961 bis 1990 (sogenannte Klimanormalperiode).

KOMMENTAR KALTE SONNE-REDAKTION:

Gleich zu Beginn ein schlimmer Fehler: Die Temperaturreihen beginnen nicht um 1850, weil das CO2 anstieg, sondern einfach weil man damals mit den systematischen Messungen begann. Böse Panne. Der Rest der Antwort ist Larifari, eine Antwort auf die Frage, weshalb man ausgerechnet die kälteste Phase der letzten 10.000 Jahre als Bezugsniveau für die aktuelle Erwärmung verwendet, hat die Landesregierung nicht.

 

FAZIT:

Das Niedersächsische Ministerium für Umwelt, Energie und Klimaschutz hat das Thema Klimawandel in keinster Weise im Griff. Die Antworten weichen den Fragen aus, wichtige Grundlagen scheinen unbekannt zu sein. Eine peinliche Geschichte. Aus der Vorbemerkung des Ministeriums in der Drucksache kann man erraten, dass man sich vermutlich vom ‚Climate Service Center Germany‘ (schlecht) beraten ließ:

Bei ihrer Entscheidungsfindung greift die Landesregierung regelmäßig auf den fundierten Sachver-stand anerkannter wissenschaftlicher Institutionen in Deutschland zurück, bei Klimaprojektionen z. B. auf Dienstleistungen des Climate Service Center Germany (GERICS) in Hamburg.

Eben dieses GERICS hat sich soeben mit seinem neuen 346-seitigen Buch “Klimawandel in Deutschland“ kräftig blamiert (siehe „Buchrezension “Klimawandel in Deutschland”: Vor der Kleinen Eiszeit bleibt es zappenduster„).

 

 

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