Die große (Vor-) Täuschung

Von Peter Sommer

Die US Band The Platters hatte 1955 einen Hit, der 1987 durch den Queen Sänger Freddy Mercury noch einmal zu Ehren kam, der Titel des Liedes lautete „The Great Pretender“. Es wäre auch der passende Titel für eine Dokumentation auf ARTE gewesen, die sich mit grüner Stromerzeugung, Windkraft und E-Autos beschäftigt, auch wenn der deutsche Titel „Umweltsünder E-Autos“ etwas täuscht. In der Dokumentation geht es nämlich nicht nur um E-Autos sondern auch um Solarpanels und Windkraftanlagen. Genauer gesagt geht es um den Preis, den die Menschen und die Umwelt dafür bezahlen, dass Gesellschaften in Europa oder den USA ein gutes grünes Gewissen haben. Dieser Preis ist immens, denn aus den Augen aus dem Sinn ist nicht aus der Welt. Es soll hier nicht alles nacherzählt werden, was die spannende Dokumentation beinhaltet. Einzelne Aspekte sind aber hochinteressant.

Bolivien verfügt nach eigenen Angaben über geschätzt 50-60% des weltweiten Lithium Vorkommens. Das Land begnügt sich aber nicht mehr mit der Rolle eines Rohstofflieferanten. Es will mehr Anteile an der Wertschöpfung und so ist es sicherlich nur eine Frage der Zeit bis weit mehr als Lithium exportiert wird. Mit der Folge einer Abhängigkeit von dem Land, das dann sogar maßgeblichen Einfluss auf den Preis haben könnte. Die Eingriffe in den Wasserkreislauf in einer ohnehin schon trockenen Abbau-Gegend, haben erhebliche Einflüsse auf die Natur und die Menschen.

Gleich neben Bolivien liegt Chile. Die Dokumentation stellt eine gigantische Kupfermine vor. Kupfer spielt eine Schlüsselrolle bei der Energiewende. Wer weiß schon, dass die Welt bis heute genauso viel Kupfer erzeugt hat, wie es geschätzt in den nächsten 30 Jahren produzieren wird? Der Experte Oliver Vidal geht sogar von einer Kupferknappheit in den nächsten 20-30 Jahren aus. Die Mine ist extrem energiehungrig. Der Strom zum Betrieb stammt aus Kohlekraftwerken, die Kohle aus Kolumbien und Neuseeland.

Die Kraftwerke haben erhebliche Auswirkungen auf die Anwohner. Während ansonsten Herz-Kreislauf Probleme die Haupttodesursache in dem Land sind, so ist es in der Nähe der Kraftwerke und der Mine aber Krebs. Lastwagen und Züge für den Abtransport sorgen in einem großen Gebiet für eine enorme Belastung mit Schwermetallen. Ebenso wie in Bolivien wird beim Kupferabbau und der Veredelung sehr viel Wasser benötigt, mit ebenfalls gravierenden Auswirkungen auf Wasserkreisläufe und die Natur.

China ist beim Abbau und der Weiterverarbeitungen von Seltenen Erden weltweit führend. In der Dokumentation geht es auch um den Abbau und die Gewinnung von Grafit. 2/3 der weltweit benötigten Menge stammt aus China. Wie kaum anders zu erwarten, hat auch der Abbau des Minerals verheerende Auswirkungen auf die Umwelt und die Menschen. Abraumhalden machen das Land der Bauern unfruchtbar und die Anwohner krank.

In der Inneren Mongolei sind riesige Seen mit Abwässern entstanden, die bei der Gewinnung der Seltenen Metalle anfallen. Sie enthalten Schwermetalle und Giftstoffe und gelangen auch ins Grundwasser. Es geht sogar so weit, dass radioaktives Thorium auf diese Art und Weise breit gestreut in die Umwelt gelangt.

Norwegen betrachtet sich selbst als grünes Vorzeigeland. Henrik Shiellerup von der Geologischen Kommission in Norwegen wirft den Politikern seines Landes eine gewisse Heuchelei vor. Sie blenden die Gewinnung der Mineralien und Materialien komplett aus, weil es ausschließlich um die Elektrifizierung des Landes geht. Die Berechnung von CO2 Emissionen und Umweltauswirkungen endet an den Landesgrenzen. Martin Norman von Greenpeace Norwegen bringt es auf den Punkt: Norwegen betreibt eine schizophrene Energiepolitik. Ganz so wie ein Drogendealer, der behauptet, dass es Sache der Käufer wäre, was sie mit den Drogen anstellen.

Die Dokumentation räumt auch mit der Dolchstoßlegende der Europäischen Solarindustrie auf. Die verweisen gern auf mangelnde Unterstützung durch den Staat für den eigenen Niedergang. Dabei waren es massive chinesische Subventionen, die die Produktion der Panels günstiger als die aus Europa gemacht haben. Sie zeigt ebenfalls auf, wie Untersuchungen in Frankreich zurückgehalten wurden, die die Umweltverträglichkeit von E-Autos mit denen von Verbrennern verglichen haben. Das Ergebnis gefiel nicht allen.

Es geht gegen Ende des Films um das Recycling-Problem von ausrangierten Windkraftanlagen. Abgebaute Anlagen werden in Deutschland einfach auf den Feldern gelagert, was eigentlich nicht zulässig ist. Es sind ungeregelte Deponien. Die Wiederverwendung der Flügel ist begrenzt. Kleingeschreddert und mit anderen Abfällen angereichert werden sie später zu Fundamenten von weiteren Windkraftanlagen. Da der Rückbau von Fundamenten nicht bundesweit einheitlich geregelt ist, sorgt es dafür, dass mancherorts zwar die Fundamente nicht mehr sichtbar sind, sie aber dennoch die Böden versiegeln. 20.0000 – 30.000 Tonnen Windkraftflügel fallen in Kürze in Deutschland jährlich an.

Bei jedem Wandel, der von einer Industrie getragen wird, geht es um das Geschäft. So darf kurz vor Schluss Randy Hayes vom Rainforest Action Network noch einmal zu Wort kommen: Die Unternehmen der Wind- und Solarbranche wollen ein profitables Geschäft aufbauen aber weder den Planeten noch die Menschheit retten. Man kann nur jedem anraten sich diese 90 Minuten zu gönnen. Ganz besonders die bedingungslosen Befürworter der Energiewende täten gut daran, nach dem Ansehen einmal in sich zu gehen. Wenn diese das nächste Mal etwas von Nachhaltigkeit erzählen, sollte sich jeder nur an die zahlreichen dramatischen Beispiele aus der Dokumentation erinnern. Vor allem aber sollten wir uns vor Augen führen, dass wir gerade in erhebliche Abhängigkeiten von anderen Staaten geraten.

Zu sehen ist der Film noch bis 22.11.2021 auf ARTE.

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