Die „Golfstromsache“

Von Frank Bosse

Es ist wohl die bekannteste Meeresströmung überhaupt, der Golfstrom. Vor der USA-Ostküste strömt sehr warmes und salzreiches Wasser  mit hoher Geschwindigkeit nordwärts. Es kommt aus Richtung Golf von Mexiko, daher der Name. 

Abb. 1: Der Golfstrom im Nordatlantik Die roten Linien markieren einen wärmeren Wassertransport als die Umgebung, die blauen einen kälteren. Bildquelle

Der Golfstrom ist ein Bestandteil der weltumspannenden „Thermohalinen Zirkulation“, die Wassermassen erwärmt und abkühlen lässt. Sie verläuft so, dass große Wärmemengen nach Norden gepumpt werden. Man erkennt in Abb.1, dass der Hauptantrieb an der Oberfläche nahe am Äquator liegt. Dort weht der beständige Nordost-Passat, er entsteht dadurch, dass die Sonne dort das Wasser erwärmt, die Luft darüber aufsteigt und weiter im Norden abkühlend absinkt und wieder zurück zum Äquator strömt und durch die Erddrehung abgelenkt wird. Dieser stabile Wind treibt das warme Wasser beständig wie bei einer Heizung nach Westen Richtung amerikanische Küste. Jeder Segler auf „großer Fahrt“ kennt den Passatwind seit Kolumbus, er bringt ein Boot ohne viele Manöver mit guter Fahrt recht sicher von Europa nach Amerika, nur nicht zwischen Juni und November: dann ist Hurricane- Saison da.

Wie auch immer, der Golfstrom ist windgetrieben und dieser Antrieb wird stabil bleiben solange die Erde sich dreht und die Sonne das Meer am Äquator erwärmt. Er ist Bestandteil des Wärmetransports Südhalbkugel- Nordatlantik, genannt „Atlantic Meridional Overturning Circulation“ oder kurz AMOC. In Abb.1 sieht man auch, dass der Golfstrom recht genau in dem Gebiet des Sinkens der „Titanic“ zu Ende ist und abgelöst wird durch die „North Atlantic Drift“ oder auch North Atlantic Current“ (NAC).

Der zunächst unmittelbar erkennbare Unterschied liegt in der Strömungsgeschwindigkeit: das rasche und stark gebündelte Strömen vor der USA- Küste wird abgelöst durch eine viel langsamere, dafür jedoch breitere Wasserbewegung. Die antreibende Kraft des Windes am Äquator ist verbraucht durch die Reibung, der Antrieb ist nun ein gänzlich anderer. Daher ist die Vermischung des „Golfstroms“ mit dem NAC auch so irrig, wir beschreiben zwei völlig unterschiedlich entstehende Phänomene. In Abbildung 1 ist nichts über den Antrieb des NAC gezeigt.

Abb. 2: Die Thermohaline Zirkulation, deren Bestandteil der Nordatlantik mit der AMOC ist. Bildquelle

Es hilft Abb.2. Im Seegebiet östlich und südlich  von Südgrönland ist das ursprünglich tropische Wasser abgekühlt. Es ist jedoch noch so salzreich, wie es dort war, bei den hohen tropischen Verdunstungsraten. Salzreicheres Wasser hat eine höhere Dichte, es ist schwerer als das umgebende Wasser und sinkt daher ab bis in große Tiefen, wenn das nicht mehr durch höhere Temperaturen (die das Wasser leichter machten)  ausgeglichen werden kann. Es formiert sich schließlich Tiefenwasser, das sich  wieder südwärts bewegt in seiner jahrhundertelangen Reise um den Globus. Dieses Absinken bei Grönland ist also der Antrieb für den NAC, der stets Nachschub für den Sinkprozess liefert. Der wird bestimmt durch den Salzgehalt der beteiligten Wassermassen. Das Verständnis für die Zusammenhänge ist wichtig, die sich um die Thesen des sich abbremsenden Stromes in einer wärmeren Welt als heute ranken.

Sie sind schnell  bei der Hand: Wenn mehr Grönland-Eis (es ist Süßwasser von den schrumpfenden Gletschern) verloren geht durch die Erwärmung, dann wird das salzreiche Wasser vor dem Absinken versüßt und dann kommt die Pumpe des NAC zum Stehen. Ebenso können dazu die Gletscher weit entfernt beitragen, denn gewaltige  Flüsse aus dem Landesinneren Sibiriens und Alaskas münden ebenso in das Nordpolarbecken. Der Mensch hält die Thermohaline Zirkulation an, indem er die AMOC reduziert, so die Idee auch des Thrillers „The day after tomorrow“.

Was ist dran an diesem Szenario? Wir hatten bereits vor Jahren darüber kritisch berichtet, vgl. hier. Kurz zusammengefasst deutete eine Studie von Stefan Rahmstorf und Kollegen  die Nichterwärmung eines Ozean-Gebietes südlich Grönlands als Zeichen einer starken Verlangsamung der AMOC:

Abb. 3: Der „kalte Fleck“ südlich Grönlands wie ihn Beobachtungen zeigen. Bildquelle: Fig.1b aus Rahmstorf  et al ( 2015).

Die Fachwelt blieb sehr skeptisch, wie auch in dem Buch „Unerwünschte Wahrheiten“ ab S.127 beschrieben. Das hinderte Rahmstorf nicht daran, die Idee weiter zu promoten. Im Januar 2020 twitterte er  : „Die AMOC verlangsamt sich“ ( als Tatsachenformulierung!!) und pries seine Schlussfolgerung daraus: Eine verlangsamte AMOC reduziert die globale Erwärmung. Aus grundlegenden Überlegungen wiesen Vorgängerarbeiten in die entgegengesetzte Richtung. Immer wieder meldet er sich medial zu Worte (zuletzt im September 2020)  und malt das Schreckgespenst von „ The day after tomorrow“ (mit ausdrücklichem  Verweis auf den Film) an die Wand, immer wieder ist der Ausgangspunkt der „kalte Fleck“ im Nordatlantik.

Dabei hatte ein Team unter Paul Keil und Thorsten Mauritsen in einer Studie bereits im Juni 2020 davor gewarnt, dieses Phänomen stark monokausal einer möglicherweise nachlassenden AMOC zuzuschreiben. In Modellen hatten sie gefunden, dass es andere Gründe dafür gibt, die gegenwärtig viel bedeutsamer sind. Sie schrieben mit in wissenschaftlichen Studien unüblicher Verve:

“It would be helpful if, in future discussions, the impacts of the WH  ( =”kalter Fleck”, d.A.) are separated from its underlying causes, which involve both atmospheric processes and an enhanced northward heat transport out of the region, and therefore extend beyond that of a simple AMOC slow-down”.  

2 Monate später  druckt der „Spiegel“ den o.g. langen Artikel ab, indem Rahmstorf mit völlig übertriebener Sicherheit  seine These als die absolute Wahrheit verkaufte. Eine ganz neue Arbeit zum Thema, Fu et al (2020) kommt nun zu dem Ergebnis, dass die AMOC seit 1990 völlig stabil ist. Ihre Kernbotschaft:

Abb. 4: Oben die AMOC-Stärke in den Subtropen, wie sie seit 2004 von dem Instrument „Rapid“ gemessen wird, in der Mitte die Stärke im Absinkgebiet des NAC. Die Labrador See (unten) spielt eine untergeordnete Rolle für die AMOC, wie man seit kurzem weiß. Bildquelle: Fu et al (2020)

Zur Erzeugung der Messwerte vor 2004 benutzten die Autoren hydrographische Messungen, die sie an den Verlauf der Messungen mit großer Akribie anpassten. Wo bleibt nun die These des beschleunigten Nachlassens der AMOC, des Golfstromes etc.? Das Eis Grönlands, als angebliche Hauptursache der AMOC-Verlangsamung,  soll erst seit den 2000ern stärker schwinden, man kann es in einer Studie aus 2019 von Mouginot und Kollegen in Fig. 3 nachsehen. Und nun ist die AMOC konstant bis auf Kurzzeitschwankungen seit 1990. Irgend etwas kann da nicht zusammenpassen! Vielleicht sollte sich der „Spiegel“ einmal nach einem Kolumnisten für Klimafragen umsehen, der die gesamte Bandbreite aktueller Forschung darstellt? Was nehmen Sie als kritischer Leser mit?

1-Wenn Ihnen etwas gesagt wird wie: „Der Golfstrom kommt zum Erliegen“…fragen Sie einfach wie das gehen soll! Es geht in der Tat durch seinen Antrieb nicht.

2-Wenn Ihnen gesagt wird, der Mensch macht den „Day after tomorrow“: Fragen Sie nach der Sicherheit der Argumentation. Schon platzt die Seifenanblase, es sei denn Ihr Gegenüber begreift Wissenschaft wie Erich von Däniken: Er stellt eine These auf und sucht nur nach Bestätigungen dafür. Aber so geht Wissenschaft eben nicht.  

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