Das verflixte CO2-Budget

Von Eike Roth

Wie immer, ein sehr guter Beitrag in der Kalten Sonne: „Unser Wissen über den Klimawandel ist unsicher und daher auch der Weg zu seiner Verhinderung“ von Wolfgang Dreybrodt, 3.11.2020. Darin übt der Autor, ein gestandener Physiker, grundsätzliche Kritik an der öffentlichen Klimadebatte: In dieser Debatte wird die prinzipielle Offenheit von Wissenschaft nicht ausreichend beachtet. Stattdessen wird der Wissenschaft die Rolle zugeordnet, einen eindeutigen Pfad zur Lösung des Klimaproblems vorzugeben, der unbedingt einzuhalten ist. Das kann Wissenschaft aber grundsätzlich nicht leisten, weil sie die absolute Wahrheit nicht kennt.

Das beschreibt die vorhandene Situation treffend. Eigentlich müsste die Politik unter Beachtung aller Aspekte selbst entscheiden und ihre Entscheidung dann auch verantworten, aber die Politik versteckt sich hinter der (Klima)Wissenschaft, sie „folgt der Wissenschaft“. Und die Klimawissenschaft lässt sich instrumentalisieren und verliert das wichtigste Wesensmerkmal einer jeden Wissenschaft, offen und kritisch zu sein! Als Folge werden bestehende Meinungsunterschiede verschwiegen, abweichende Meinungen werden unterdrückt, ihre Vertreter werden als „Klimaleugner“ diffamiert und Fehlerbandbreiten von Messwerten und Berechnungen werden totgeschwiegen. Das täuscht dann vor, dass unser Wissen bereits ausreichend wäre, um darauf verantwortliche Entscheidungen aufzubauen. Dreybrodt zeigt, dass das Gegenteil richtig ist, wir wissen noch viel zu wenig.

Aber bei aller grundsätzlichen Zustimmung gibt es auch ein paar problematische Detailaussagen in Dreybrodts Beitrag. Zwei seien kurz kommentiert: Erstens meint Dreybrodt, die Klimasensitivität des CO2 (das ist die Erwärmung bei Verdoppelung der Konzentration) würde „unbestritten“ zwischen 1,5 und 4,5 °C liegen. Das ist zwar schon ein sehr breites Intervall, aber selbst dieses ist massiv umstritten. Es werden sowohl höhere, insbesondere aber auch niederere Grenzwerte genannt, bis herunter zu etwa 0,2 °C (z. B. in /1/). In der Sache ist der Unterschied gravierend: Die untere Grenze liegt um fast eine Größenordnung tiefer! Allerdings sind die Auswirkungen eher nachrangig, weil, wie Dreybrodt zutreffend zeigt, katastrophale Klimaentwicklungen auch schon bei einer Klimasensitivität von 1,5 °C hinreichend zuverlässig ausgeschlossen werden können. Noch kleinere Klimasensitivitäten verstärken das dann nur noch. Wir müssen nur zur Kenntnis nehmen, dass wir die Klimasensitivität des CO2 so gut wie überhaupt nicht quantifizieren können. Allen Entscheidungen, die auf ihr aufbauen, fehlt daher eine ausreichend gesicherte Grundlage.

Das zweite Problem betrifft nicht Quantitäten, sondern die Grundlagen: Herr Dreybrodt übernimmt unverändert das IPCC-Konzept vom „CO2-Budget“. Dieses Konzept geht davon aus, dass aus der Klimasensitivität des CO2 auf die CO2-Menge geschlossen werden kann, die maximal von uns Menschen noch freigesetzt werden darf, wenn eine vorgegebene Grenze für die Erwärmung eingehalten werden soll. Diese noch zulässige Freisetzungsmenge wird als „CO2-Budget“ bezeichnet. Auf die zeitliche Verteilung der Freisetzung kommt es diesem Konzept zufolge nicht an, sondern nur auf die Gesamtmenge. Nur die bestimmt die Wirkung, daher darf die Gesamtmenge nicht größer werden als das CO2-Budget. Dreybrodt hinterfragt das Konzept nicht, sondern fordert nur, dass auch hier Fehlerbetrachtungen vorgenommen werden müssen. Hinsichtlich Klimasensitivität gilt das oben Gesagte: Im unteren Bereich (1,5 °C oder darunter) sind katastrophale Klimaentwicklungen nicht zu befürchten. Und hinsichtlich CO2-Budget zeigt Dreybrodt, dass bei diesem die Aussagen zu seiner Größe sehr weit auseinander liegen, also auch hier keine gesicherten Vorgaben für unser Tun abgeleitet werden können.

Das genügt eigentlich, um alle kostspieligen Maßnahmen zur CO2-Reduzierung sofort auf Halt zu setzen und vor Wiederaufnahme noch wesentliche weitere wissenschaftliche Abklärungen einzufordern. Aber bei näherem Hinsehen ist in dem Konzept vom CO2-Budget auch noch ein systematischer Denkfehler enthalten, den wir auch beseitigen sollten: Rein logisch kann man aus Klimasensitivität und Erwärmungsgrenze eine Obergrenze nur für die Konzentration von CO2 in der Atmosphäre ableiten, nicht aber für die Freisetzung von CO2! Bei vorgegebener Klimasensitivität bestimmt die Konzentration, welche Temperatur sich einstellt. Aber welche Konzentration sich einstellt, das bestimmt nicht die Freisetzungsmenge alleine, sondern das ist auch von anderen Dingen abhängig, insbesondere von der zeitlichen Verteilung der Freisetzungen. Dass trotzdem für die Freisetzungsmenge eine feste Obergrenze angegeben wird, darin liegt der logische Fehler!

IPCC rechtfertigt sein Konzept mit einem angeblich bestehenden festen Zusammenhang zwischen den beiden CO2-Mengen. Dadurch könnte man zu jeder Erwärmungsgrenze auch eine zugehörige Freisetzungsgrenze errechnen, die ist dann das „CO2-Budget“, das nicht überschritten werden darf. Den festen Zusammenhang leitet IPCC aus Beobachtungen ab: Bei anthropogenen Freisetzungen von 4 ppm/a nimmt die Konzentration in der Atmosphäre um 2 ppm/a zu. IPCC erachtet das als ein generelles Gesetz: Es verbleiben immer und unabhängig von allen anderen Randbedingungen gerade 50 % des anthropogen freigesetzten CO2 in der Atmosphäre (konstante „airborne fraction“). Daraus resultiert dann eben das feste CO2-Budget.

Zur Überprüfung: Wenn ein fester Prozentsatz in der Atmosphäre verbleibt, dann wird auch ein fester Prozentsatz aus ihr entnommen (eben der Rest auf 100 %). Die Entnahme richtet sich gemäß IPCC daher nach der Freisetzung (es werden 50 % von dieser entnommen)! Das ist, wie gesagt, nach IPCC kein Zufall, der momentan halt da ist, aus welchen Gründen auch immer, sondern es ist ein generelles Gesetz, das immer gilt. Das kann aber nicht stimmen: Die Entnahme von CO2-Molekülen aus der Atmosphäre ist ein Diffusionsprozess und ein solcher richtet sich gemäß Physik immer nach der (momentanen) Konzentration! Ob und wie viel CO2 im selben Moment der Atmosphäre zugeführt wird, das ist für die (momentane) Entnahme völlig belanglos. Nach den Regeln der Physik gibt es deshalb gerade keinen festen Zusammenhang zwischen der freigesetzten Menge und der sich in der Atmosphäre ansammelnden Menge. Aus der Temperaturgrenze kann daher keine Freisetzungsgrenze abgeleitet werden! Wie viel CO2 wir bis zum Erreichen der Temperaturgrenze tatsächlich freisetzen dürfen, das hängt eben auch davon ab, wann und wie verteilt wir dieses CO2 freisetzen. Das Konzept vom festen CO2-Budget ist physikalisch nicht haltbar!

Aber trotzdem noch eine kleine Anmerkung: Die Frage nach dem Ursprung der erhöhten CO2– Konzentration in der Atmosphäre sollte dringend näher untersucht werden. Deshalb, weil von der Antwort viel abhängt und weil diese Zunahme schon deswegen nicht nur aus den anthropogenen Freisetzungen alleine kommen kann (wie IPCC das behauptet), weil die allgemeine Erwärmung infolge der temperaturabhängigen Löslichkeit von CO2 im Ozeanwasser auf jeden Fall mit dazu beigetragen haben muss. Offen ist nur, wie viel sie beigetragen hat, und offen ist und auch, ob es auch noch eine weitere Quelle für CO2 gibt, die bisher nicht beachtet wurde. Beispielsweise in /2/ und /3/ wird das näher diskutiert und wenn es stimmt, dann sieht das Klimaproblem insgesamt völlig anders aus. Die Klärung lohnt sich also.

/1/  Frans van den Beemt: https://www.sciencetalks.nl/the-physics-of-doubling-co2-full-version

/2/  Hermann Harde: »What Humans Contribute to Athmospheric CO₂: Comparison of Carbon Cycle Models with Observations«, Earth Sciences, Vol. 8, No. 3, 2019, pp. 139-159. doi: 0.11648/j.earth.20190803.13.

/3/  Eike Roth: „Abgesagt! Dem Klimanotstand bricht die Basis weg“, BoD-Verlag Norderstedt, 2020, ISBN 978-3-7526-4764-8.

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